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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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nach und nach freigaben. Trotzdem konnte es schon zu spät sein. Man musste sich über Jahre hinweg an die Magifizienten gewöhnen, um unempfindlich gegen ihre Nebenwirkungen zu werden, und dieser Graue Gardist konnte sie noch nicht länger als ein paar Monate angewendet haben: Der Orden war über diesen Dingen gestanden, auch wenn er es toleriert und sogar gefördert hatte, dass seine Nachbarn jene Überbleibsel aus vergangenen Zeiten einsetzten. Der Zigeunerkönig pfiff, und einer seiner Männer kam herein. »Seid Ihr allein?«, fragte er den Grauen Gardisten.
    Der Graue Gardist sagte nichts, und Rudolfos Blick verengte sich. Mit honigsüßer und zugleich drohender Stimme sagte er: »Ich halte Bundschaft mit Eurem Herrn, ganz gleich, wie es inzwischen um den Orden bestellt ist. Ich bin der Hüter von Windwir und der Erbe des Nachlasses des P’Andro Whym. Ich erwarte von Euch, dass Ihr ehrlich zu mir seid, wie es die Artikel der Bundschaft besagen, und mir verratet, was ich wissen muss, damit ich mich auf den Weg machen kann. Ich habe etwas mit Petronus zu besprechen, und ich bin bisher gnädig gewesen. Aber ich werde nicht zulassen, dass die Sturheit eines Sterbenden weiteren Tod herbeiführt.« Er ging noch einen Schritt auf den Mann zu. »Ich werde sprechen, und Ihr werdet antworten«, sagte er. »Seid Ihr allein?«
    Der Mann hustete und beugte sich dabei vornüber, und als er
sich auf den Boden übergab, sah Rudolfo das Blut, das mit weißem Schaum gesprenkelt war. »Wir sind zu zweit. Jarryd ist auch krank.« Er nickte in Richtung der hinteren Ecke des Raumes.
    Rudolfo stieg über die Blutpfütze und ließ seinen Arzt eintreten. Der Späher nahm den Mann am Ellbogen und führte ihn zu dem im Schatten verborgenen Deckenhaufen, auf dem der andere Gardist schlief. »Hast du alles, was du benötigst, um sie zu behandeln?«
    »Ja, General«, sagte der Späher. »Was ich nicht habe, wird die Fördenfrau beisteuern.«
    Rudolfo nickte. »Lass nach allem schicken, was du brauchst.«
    Während der Arzt an die Arbeit ging, sah sich Rudolfo in dem wohlvertrauten Raum um. Er hatte sich nicht sonderlich verändert, aber es lag auch nicht sehr lange zurück, dass er an dieser Stelle gestanden hatte. Das Boot war da, mit dem Kiel nach oben, und das kleine Segel war ordentlich zusammengefaltet. Der Mast lag an der gegenüberliegenden Wand, und die Ruder hingen an Haken, daneben die verschiedenen Netze und Angelruten. Nur hinten, wo der Geruch der Vögel dick in der Luft hing, bemerkte Rudolfo eine große Veränderung:
    Wo zuvor Schränke und eine Werkzeugbank gewesen waren, hatte man inzwischen Platz für Vogelställe geschaffen, daneben lagen Pergamentstapel und Garnrollen. Scharlachrot für den Krieg, Grün für den Frieden, Weiß für die Bundschaft, Blau für Erkundigungen, Schwarz für Gefahr. Die Regenbogenfarben der Bundschaft – die Regenbogenfarben der Waldhäuser – waren allesamt vertreten, zusammen mit einem halben Dutzend Federn und einem Dutzend Tintenfläschchen.
    Rudolfo ging weiter und hörte das Gurren der Vögel. Noch während er sich näherte, vernahm er einen leichten Aufprall. Er blickte auf und sah einen braunen Sperling, der sich in einem Fangnetz verstrickt hatte, das vor einem der kleinen, offenen Fenster hing. Rudolfo ging auf den Vogel zu und kümmerte sich
nicht um den Lärm, den der kranke Graue Gardist machte, als er versuchte, aufzustehen und den kleinen Boten in Empfang zu nehmen.
    Oder Ihr mich davon abzuhalten, mich um diesen Vogel zu kümmern , dachte Rudolfo.
    Mit einem Zungenschnalzen streckte Rudolfo die Hand aus und hob den Vogel aus dem Netz. Ganz ruhig lag er auf seiner Handfläche und zirpte. Rudolfo zog den blauen Faden von seinem Fuß, an dem eine kleine Rolle befestigt war. Dann setzte er den Vogel sanft in einem der offenen Käfige ab und legte die Nachricht beiseite.
    Als Kind hatte er die Vogelställe genauso geliebt wie den Foltertrakt oder die geheimen Gänge der Waldresidenzen, in denen er seine Kindheit verbracht hatte. Er hatte gelernt, wie man das Futter mischt und mit welchen Worten man die Vögel an jeden Ort der Welt schicken konnte. Und er hatte die Geheimschriften gelernt – Dutzende mehr, als er hätte kennen müssen.
    »Als Erstes«, hatte ihm Garvis der Vogelpfleger durch seine alten Zahnstumpen gesagt, »fütterst du sie und gibst ihnen zu trinken. Sie arbeiten schwer für Seine Majestät, wenn sie die Nachrichten tragen. Erst mach sie satt«, hatte er in einem

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