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Loch

Loch

Titel: Loch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Laymon
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angezogen, das er mitgebracht hatte. Er hatte sie ohne ihre Handtasche aus dem Haus geschleppt. Und nun trug sie die Kleider einer Puppe von Sharpe.
    Sie hatte nicht einmal mehr ihren Verlobungs- und ihren Ehering. Rodney hatte ihr sie letzte Nacht an der Badezimmertür vom Finger gezogen. »Die wollen wir nicht mehr! Sie gehören ihm . Er kann sie haben.« Nacheinander hatte er die Ringe auf Jims Leiche geworfen. Der Verlobungsring hatte Jims Stirn getroffen und war von dort in die Badewanne hinter ihm gehüpft. Es hatte geklimpert, als rollte dort eine Münze herum. Der diamantene Ehering war mit einem leisen Plopp auf den Eingeweiden gelandet, die aus dem Schlitz in Jims Bauch quollen.
    Pamela schlug sich eine Hand vor den Mund. Ihre Augen wurden feucht. Warum muss ich ständig daran denken? Gewöhn dich dran.
    Ich bin schon dabei, mich daran zu gewöhnen, dachte sie. Dieses Mal habe ich mich nicht übergeben.
    Ich habe noch nicht einmal gewürgt.
    Doch dann schämte sie sich. In der letzten halben Stunde oder so hatte sie fast nur darüber nachgedacht, wann und wo sie die nächste Mahlzeit bekommen würde.
    Jim ist tot. Er wird nie wieder etwas essen. Und ich mache mir Sorgen, weil ich ein wenig hungrig bin. Was zum Teufel ist mit mir los?
    Ich lebe noch, rief sie sich in Erinnerung. Was soll ich denn tun, aufhören zu essen?
    »Ich habe kein Geld«, sagte sie, und ehe Sharpe antworten konnte, fuhr sie fort: »Ich weiß, ich soll während der Fahrt nicht mit dem Fahrer sprechen, aber ich verhungere, und wir sind fast an diesem Café, und ich habe keinen Cent in der Tasche. Aber ich möchte etwas essen. Okay? Ich meine, ich kann es dir zurückzahlen. Es könnte nur eine Weile dauern. Ich habe ein Bankkonto und Kreditkarten, ich habe nur nichts dabei . Rodney hat nicht extra gewartet, bis ich meine Handtasche genommen habe, bevor er mich letzte Nacht aus dem Haus geschleppt hat. Und er hat das Haus angezündet, deshalb ist alles weg. Auch mein Scheckbuch und meine Kreditkarten. Aber ich bin nicht arm. Ich habe eine Arbeit. Ich kann es dir zurückzahlen, wenn du mir etwas zu essen kaufst. Okay?«
    Er hob ein wenig den Kopf. »Das geht auf mich.«
    »Das ist nicht nötig, aber …«
    »Ich habe dir das Leben gerettet, deshalb gehörst du jetzt zur Familie. Ich kümmere mich um meine Leute.«
    »Also, danke«, sagte sie. Sie war sich nicht sicher, was es bedeuten sollte, dass Sharpe sie als Mitglied seiner »Familie« betrachtete. Doch ehe sie länger darüber nachdenken konnte, tauchte hinter der Windschutzscheibe Pits auf. Das ist wirklich das letzte Loch, dachte sie.
    Sie sah am Straßenrand eine Ansiedelung, die aus einer verwahrlosten Tankstelle und einem kleinen Café bestand, umgeben von einem Parkplatz, der zugleich als Müllkippe zu dienen schien. Im hinteren Teil standen verstreut ein paar alte Wohnwagen herum. Zwischen der Tankstelle und dem Café, aber ein wenig zurückgesetzt, lag ein eingezäunter Bereich, der aussah wie ein Friedhof. Auf einem Hügel hinter dem Friedhof stand ein viktorianisches Haus, das wirkte, als wäre es von dem Außengelände eines Filmstudios entführt worden, wo es vor Jahrzehnten als Geisterhaus gedient hatte.
    Das muss der Palast sein, dachte Pamela. »Was für ein Kaff«, sagte sie.
    »Home, sweet home«, sagte Sharpe.
    »Ich dachte, du wohnst in deinem Bus.«
    »Das stimmt.« Er bremste und steuerte von der Straße. Als er auf die Tankstelle zurollte, sah ihn ein alter Knacker, der in der Nähe der Zapfsäulen stand, und winkte. Sharpe drückte auf die Hupe. Kurz darauf kam eine Frau in einem weißen Kleid aus der Tankstelle gerannt.
    Sharpe fuhr an den Zapfsäulen vorbei, bog nach rechts und parkte in einer Lücke, in die der Bus genau hineinzupassen schien.
    Er sah über die Schulter und sagte: »Willkommen in Pits, Einwohner: 6.« Dann bediente er einen verchromten Hebel. Schnaufend öffnete sich die Tür.
    Pamela beugte sich vor und wollte aufstehen.
    Doch dann blieb sie auf ihrem Sitz, weil die Frau durch die Tür stürmte und die Stufen hinaufsprang. Sharpe stieg vom Fahrersitz. Die Frau blickte kurz zu Pamela, dann warf sie sich Sharpe in die Arme. Sie standen am Eingang des Busses und hielten sich. Sharpe schien die Umarmung eher der Form halber zu erwidern – sanft, aber ohne viel Leidenschaft, soweit Pamela das beurteilen konnte.
    Er sollte eigentlich ein bisschen begeisterter sein, dachte sie, wenn ihm eine Frau um den Hals fällt, als wäre er ein lang

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