Locke greift an
Schlussmann der Engländer. Der war wie ein Düsenflieger aus seinem Kasten geeilt und hatte doch keine Chance. Denn Heiko schoss in diesem Augenblick zum 1:0 für Deutschland ab. Der Jubel im Stadion wurde zum Orkan. Auf der Tribüne herzte Herr Schubert seine Frau und Eva reckte beide Fäuste in den Kölner Himmel.
Das war auch der Halbzeitstand. Locke hatte sich bis dahin fast die Lunge aus dem Hals gerannt. Völlig kaputt saß er in der Umkleide auf der Bank. Stettler stellte die Frage aller Fragen: »Wie lange kannst du noch?«
Patrick setzte die Trinkflasche vom Mund ab.
»Keine Ahnung«, antwortete er schwer atmend. »Kommt auch etwas auf diesen Kenny an, irgendwann muss der doch mal platt sein.«
Der Trainer klopfte seinem Stürmer ermunternd und anerkennend auf die Schulter. Dann wandte er sich an die Mannschaft. »Hier muss wirklich jeder für jeden laufen. Die Engländer werden jetzt versuchen, uns in den nächsten zehn Minuten stark unter Druck zu setzen. Wenn wir diese Phase ohne Gegentor überstehen, gewinnen wir das Spiel. Ist euch das klar? Was sind wir?«
Abermals kam voller Überzeugung zurück: »Ein Team!«
Das Team war wirklich ein Team. Es kam so, wie Stettler es prophezeit hatte. England griff an. Kevin Rott musste zwei Bälle halten, die viele Zuschauer eigentlich schon im Tor gesehen hatten.
Der Reporter von der BBC brüllte in sein Mikrofon: »Incredible!«, was nichts anderes als »Unglaublich!« hieß. Und es war auch unglaublich, was dieser Kenny leistete. An jedem Angriff der Engländer war er beteiligt und für Patrick hieß es: stören und nicht zur Entfaltung kommen lassen!
Die heißen zehn Minuten nach dem Wechsel waren überstanden - da hatte Patrick seinen ersten Wadenkrampf. Nach einem Laufduell mit Kenny spürte er die Verhärtung in der rechten Wade. Zum Glück ging der Ball ins Seitenaus. Der stechende Schmerz ließ Locke zu Boden gehen. Kenny erkannte als Erster, dass sein Gegenspieler gehandicapt war. Und nun geschah etwas, dass das Stadion in Staunen versetzte. Ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen, gab Kenny Hilfestellung. Patrick stemmte das Bein gegen die hingehaltenen Hände von Kenny, und der Krampf verschwand so schnell, wie er gekommen war.
Das Publikum klatschte begeistert Beifall. Papa Schubert beruhigte sich und seine Frauen auf der Tribüne: »Keine Sorge, das war nur ein Krampf, Locke kann weiterspielen. Aber vor allem war es echtes englisches Fair Play.«
Das Wahnsinnstempo in dieser Begegnung ließ jetzt etwas nach. Die deutsche Mannschaft spielte sich frei. Erik Stössken war urplötzlich nach einem Freistoß aus dem Mittelfeld zum Kopfball gekommen. Der Ball klatschte an den Pfosten. Diesmal Glück für England!
Kenny und Locke neutralisierten sich nun völlig. Keiner von beiden konnte sich echte Vorteile erarbeiten. Platz war aber für andere Spieler vorhanden. Andreas Martin erkämpfte sich fünfzehn Minuten vor Schluss den Ball. Stettler rief von draußen noch: »Zieh doch einfach ab, Andreas!«, als dieser schon einen unglaublichen Knaller losschickte. Mit Tempo hundertzehn flog der Ball auf den rechten oberen Winkel der Engländer zu. Der Torhüter flog und flog und flog. Aber es war vergebens! Genau in der Ecke zwischen Pfosten und Latte schlug das Leder ein.
Fünfzigtausend Zuschauer waren begeistert. Den Torschrei konnte man noch mehrere Kilometer entfernt hören.
Das Spiel war entschieden. Deutschland stand im Halbfinale der Europameisterschaft!
Szenen der Freude spielten sich in der Umkleide ab. Lediglich Locke hing völlig ausgepumpt auf der Bank. Stettler ging aber sofort zu ihm, klopfte ihm auf die Schulter und sprach ein großes Kompliment aus.
»Das war eines deiner besten Spiele. Deine Zuarbeit zum Tor in der ersten Hälfte war super. Es kommt eben nicht immer nur darauf an, dass man als Torschütze in Erscheinung tritt. Was du heute für die Mannschaft geleistet hast, das war unglaublich!«
Patrick lächelte stolz in seinem eingetauschten englischen Trikot mit der Nummer 14 auf dem Rücken. In großen Buchstaben stand darüber KENNY. Locke drehte sich halb zu Stettler um, damit der den Schriftzug sehen konnte, und anerkennend meinte er: »Mein bester Gegenspieler bisher.«
14
H ERZLICH WILLKOMMEN IM HALBFINALE DER EUROPAMEISTERSCHAFT!
Mit großen Spruchbändern begrüßte das Küchenpersonal der Sportschule von Hennef die deutsche Mannschaft. Den Jungs gefiel das natürlich, aber Stettler legte großen Wert darauf, dass
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