Lockende Versuchung
Frühling die Welt, so wie Julianna einmal Wärme in sein Leben gebracht hatte. Er durfte die Liebe zu ihr nicht mehr ableugnen, wie er es einmal in Schmerz und Wut getan und Julianna damit aus dem Haus getrieben hatte. Von nun an würde er seine Liebe dadurch zum Ausdruck bringen, dass er versuchte, der Mann zu bleiben, den sie aus ihm gemacht hatte, und das Leben zu führen, das sie sich für ihn gewünscht hatte.
Langsam wandte er sich um. „Willst du die Sache für mich in die Hand nehmen, Langston?“
Ruhelos drehte sich Julianna in Vanessas Gästebett von einer Seite auf die andere, aber der Schlaf wollte nicht kommen. Morgen musste sie vor dem Angesicht der trockenen alten Kirchenmänner Zeugnis ablegen und damit ihre Bande zu Edmund endgültig zerreißen. Kurz danach würde sie mit Crispin vor den Traualtar treten und dann für immer aus Edmunds Leben verschwinden. Bei diesem Gedanken wurde ihr das Herz schwer wie Stein.
Zu allem Überfluss war sie ständig gezwungen, ihre wahren Gefühle zu verbergen und froh und glücklich zu erscheinen. Niemanden gab es, mit dem sie ihrem Kummer teilen durfte, keine Schulter, an welcher sie Halt suchen, keine Brust, an welcher sie sich ausweinen konnte. Oder vielleicht doch?
Vanessa? Wider Willen musste Julianna lachen. Sicher, sie war der Countess dankbar, dass sie ihr Zuflucht in ihrem Hause geboten hatte, und ihre frühere Abneigung, die schon beinahe an Hass grenzte, hatte mit der Zeit nachgelassen. Was sie jetzt für Vanessa empfand, war eine seltsame Mischung zwischen Belustigung über ihre Art des öffentlichen Auftretens und einem etwas nebelhaftem Mitleid mit der unglücklichen Frau, die sie hinter der prunkvollen Fassade zu spüren glaubte.
Doch ihre aufkeimenden freundschaftlichen Gefühle wurden von einem Anflug sehnsuchtsvollen Neides belastet. Wenn erst das Annullierungsverfahren rechtskräftig beendet war und das jungvermählte Paar England verlassen hatte, würde Vanessa wieder freie Hand haben, um sich Edmunds zu bemächtigen, und wenn der nur einen Funken Verstand hatte, ließ er sich zu guter Letzt von ihr einfangen. Die beiden passen ausgezeichnet zueinander, gestand sich Julianna widerstrebend ein. Vanessa würde es Edmund nicht gestatten, sich in die Abgeschiedenheit seiner Bibliothek zurückzuziehen, sondern ihn zu einem aktiven, tätigen Leben veranlassen und zweifellos im gegebenen Falle eine ausgezeichnete Politikergattin abgeben.
Da die Nacht für Vanessas Geselligkeitstrieb noch vergleichsweise jung war, entschloss sich Julianna, wieder aufzustehen, um im Salon auf die Countess zu warten und vielleicht mit einemSchluck Weinbrand ihre Hemmungen hinunterzuspülen. Sie hatte sich einen Morgenmantel übergezogen und war gerade dabei, einen der Kristallkelche auf der Anrichte mit einer gehörigen Portion Brandy zu füllen, als hinter ihr eine Stimme ertönte.
„Schenk mir auch ein Glas ein, wenn du gerade dabei bist.“
Julianna fuhr herum und erblickte in einem der hochlehnigen Armstühle die Countess.
„Herr des Himmels! Vanessa! Beinahe hätte ich die Karaffe fallen gelassen.“
„Nun, in diesem Falle werde ich mich doch lieber selbst behelfen.“
Vanessa gab ihr übliches beeindruckendes Bild ab. Sie kam von einer Redoute in der österreichischen Botschaft und trug ein prunkvolles Samtgewand in ihrer Lieblingsfarbe Lavendelblau, dazu ein kostbares Amethystkollier. Wieder konnte Julianna einen Hauch von Neid nicht unterdrücken. Vielleicht hätte Edmund sie doch geliebt, wenn sie so schön wie seine Cousine gewesen wäre?
„Warum bist du schon daheim, Vanessa? Wurde der Ball wegen eines Duells um deine Gunst vorzeitig abgebrochen?“, erkundigte sie sich mit einem leicht ironischen Unterton.
„Nein, heute ausnahmsweise nicht.“ Vanessa lächelte mechanisch, während sie ihr Glas randvoll schenkte. „Ich musste ernsthaft nachdenken, und diese Gesellschaft in der Botschaft ist tiefschürfenden Überlegungen ganz und gar nicht förderlich.“
„Nachdenken? Tiefschürfende Überlegungen? Das klingt ja außerordentlich feierlich“, erwiderte Julianna neckend. „Hat Laurence etwa wieder Schwierigkeiten?“
„Wann hätte er die nicht?“ Vanessa nahm einen wegen seiner Größe wenig damenhaften Schluck von dem Weinbrand und setzte sich dann wieder in den Armstuhl nieder. „Oh, ja, für eine Weile hat er Ruhe gehalten, nachdem Edmund ihm im Sommer einen derart heiligen Schreck eingejagt hatte. Aber jetzt scheint er die
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