Lockende Versuchung
freudiger Kraft erfüllte Julianna plötzlich. „Und ich habe sie auch richtig verstanden. Ihr wolltet wissen, ob ich in der Zeit unserer Ehe jemals Sir Edmunds Bett geteilt habe, und darauf musste meine Antwort lauten: ja.“
Der Dekan wurde geisterhaft blass. Seine Beisitzer hingegen bekamen rote Wangen. So etwas hatten sie noch nie erlebt. Sie steckten die Köpfe zusammen und flüsterten aufgeregt. Schließlich wandte sich der Vorsitzende erneut an Julianna.
„Ist es wohl möglich, dass ein Ehepaar das Bett teilt, ohne dass … ich meine …“ Jetzt wurde auch er rot.
Julianna beeilte sich mit ihrer Antwort, denn sie wollte ja nichts völlig Unwahres sagen. Sie hatte doch schließlich Edmunds Bett mehr als einmal geteilt, und sie hatte auch bei ihm geschlafen. Was die Intimität betraf – war das Vertrauen, das sie sich geschenkt hatten, auf seine Weise nicht eine tiefere Intimität als der gewohnheitsmäßige körperliche Umgang vieler Ehepaare?
„Ich habe unbekleidet in den Armen meines Gemahls gelegen, Sir“, erwiderte sie mit fester Stimme, „und ich habe seine Hände und Lippen an Stellen meines Körpers gespürt, die zu nennen mir die Sittsamkeit verbietet.“
Der Vorsitzende schwieg, denn ihm schienen die Sinne zu schwinden. Für ihn sprang einer der anderen Gottesmänner in die Bresche und stammelte: „Aber … Sir Edmund versicherte uns …“, während der dritte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Oberlippe tupfte.
Auf einmal fand Julianna die offensichtliche Bestürzung der geistlichen Herren geradezu belustigend. „Ich bin nicht sicher, dass sich mein Gemahl an die fragliche Nacht noch erinnert. Wir waren nämlich auf einer sehr vergnüglichen Gesellschaft gewesen und hatten wohl von den trinkbaren Erfrischungen etwas zu freien Gebrauch gemacht. Eines ergab dann das andere, und ehe ich mich versah, lag ich in seinem Bett …“
Der Dekan fiel ihr ins Wort. „Ich denke, Ihr habt diese Frage ausführlich genug beantwortet. Warum, wenn Ihr gestattet, habt Ihr diese Information so lange zurückgehalten und dadurch den Fortgang des Verfahrens ermöglicht?“ Sein weit vorstehender Adamsapfel hüpfte bei diesen Worten auf und nieder.
„Ich fühlte mich an die Entscheidung meines Gemahls, eine Annullierung unserer Ehe zuerreichen, gebunden, Hochwürden.“ Für diese Erklärung musste Julianna die Wahrheit nicht unnötig verdrehen. „Aber ich kann nicht vor diesem Gericht unter Eid aussagen und dabei meine tiefe und dauerhafte Liebe zu ihm in Abrede stellen.“
Nach einer kurzen Beratung mit seinen Beisitzern verkündete der Dekan: „Das Gericht zieht sich jetzt zurück, um die neue Beweislage rechtlich zu würdigen.“
Julianna hielt den Atem an. Sofern sie das kanonische Recht nicht missverstanden hatte, war durch ihre Aussage jedwede Chance für Edmund, ihre Ehe für nichtig erklären zu lassen, zerstört worden. Wenn er sie denn immer noch um jeden Preis loswerden wollte, musste er die Angelegenheit vor das Parlament bringen.
Die schwierigste Aufgabe lag allerdings noch vor ihr. Sie musste die Hoffnungen eines liebenswerten, vertrauensvollen Mannes zerstören, indem sie ihm die Mitteilung machte, dass eine Heirat mit ihm nunmehr ausgeschlossen war.
Crispin erwartete sie in Vanessas Haus. Beim Anblick seines frohen, erwartungsvollen Lächelns sank Julianna der Mut.
„Mein Liebling, die bist ja so blass wie der Tod. Setze dich und ruhe dich aus. Es ist doch nun alles vorüber.“ Er tätschelte tröstend ihre Hand.
Wenn es nur so wäre, dachte Julianna bedrückt. Aber es hatte ja keinen Sinn, die Entscheidung vor sich herzuschieben. Krampfhaft wich sie Crispins zärtlichem Blick aus, holte tief Luft und sagte hastig: „Es gibt keine Annullierung, Crispin. Ich kann dich nicht heiraten.“
„Das ist bestimmt ein Missverständnis, mein Schatz“, erklärte Crispin. „Diese vertrockneten alten Pfaffen haben dir sicherlich tausend unangenehme Fragen gestellt. Aber das bedeutet doch nicht, dass sie Onkel Edmunds Antrag ablehnen.“
„Doch, das werden sie.“ Julianna entzog ihm die Hand. Sie konnte die Wärme seiner Nähe einfach nicht mehr ertragen. „Das werden sie tun, weil ich gesagt habe, dass ich keine Annullierung möchte. Es tut mir sehr leid, Crispin.“
Er starrte sie ungläubig an. „Gibt es einen anderen?“
Julianna nickte wortlos.
„Ich habe es geahnt. Du warst nicht mehr das fröhliche, sorglose Mädchen, das ich zurückgelassen hatte. Willst du
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