Lockende Versuchung
lassen.“ Dann klopfte sie an die Wand hinter dem Kutschbock, die Pferde zogen an, und Jerome blieb nichts anderes mehr übrig, als ihr einen hasserfüllten Blick nachzuschicken.
Beladen mit Paketen und erfüllt von dem Triumph, ihren Stiefbruder in die Schranken gewiesen zu haben, kehrte Julianna nach Hause zurück. Nicht einmal Brocks missbilligend prüfende Musterung konnte sie heute einschüchtern.
„Sorgt dafür, dass die Päckchen in mein Zimmer gebracht werden“, befahl sie mit strahlender Miene, „und fragt Mrs Davies, ob sie eine Tasse Schokolade für mich erübrigen kann.“ Mit betonter Langsamkeit zog sie sich die Handschuhe aus. „Schaut doch um alles in der Welt nicht so grimmig drein, Mr Brock, ausgerechnet in der fröhlichen Weihnachtszeit. Es ist ganz bestimmt schädlich für Eure Verdauung.“
Mit einem bedauernden Schulterzucken schlenderte sie nach diesen Worten zur Treppe … und stand unvermittelt vor Sir Edmund, der gerade die Stufen hinabstieg. Sofort bereute sie ihre Dreistigkeit und senkte beschämt den Kopf. Doch zu ihrer Überraschung ging Sir Edmund an ihr vorüber, ohne ihr Verhalten zu rügen. Verwundert sah sie ihn an und entdeckte dabei erstaunlicherweise ein vergnügtes Blinzeln in seinen grauen Augen, obwohl seine Miene ernst und unbeteiligt wie immer geblieben war.
4. KAPITEL
„Mylady! Soll die Haube wirklich für mich sein?“, rief Gwenyth entzückt.
Errötend und mit einem freundlichen Lächeln reichte Julianna dem Mädchen die hübsch mit Spitzen verzierte Kopfbedeckung. „Gewiss, Gwenyth. Und du musst sie tragen, wenn du ausgehst. Es soll die neueste Mode sein, wie man mir sagte. Es würde mich nicht überraschen, wenn du aufgrund dieser raffinierten Schöpfung der Putzmacherin zahlreiche Heiratsanträge bekommen wirst. Und nimm auch noch das Konfekt und die Nüsse. Erhole dich gut, schlafe lange und amüsiere dich, soviel du kannst. Ich erwarte einen unterhaltsamen Bericht von den Feiertagen, wenn du zurückkommst.“
Bei diesen Worten wandte sich Gwenyths Aufmerksamkeit von der Betrachtung der neuen Haube wieder ihrer Herrin zu. „Könnt Ihr auch wirklich ohne mich auskommen, Ma’am? Zwei Männer finden sich schon allein zurecht, aber eine Dame braucht ihre Zofe. Wer wird Euch beim Ankleiden helfen und Euch frisieren?“
„Keine Angst, ich werde mir das Haar schon selbst aufstecken können. Und was das Ankleiden anbelangt … wofür gibt es einen Ehemann, wenn ich an die Haken am Rücken nicht herankomme?“
Die Vorstellung, Sir Edmund könnte sich zu so völlig unangemessenen Diensten erniedrigen, rief bei den beiden Mädchen einen Heiterkeitsausbruch hervor. Impulsiv ergriff Julianna Gwenyths Hand. „Ich werde deine Gesellschaft und deine gute Laune viel mehr vermissen als deine Dienste und wünsche dir ein recht frohes Fest.“
Ein energisches Klopfen an der Zimmertür verkündete die Gegenwart von Mr Brock. „Gwenyth, deine Tante sucht dich. Ich glaube, euer Wagen ist angekommen.“
Rasch verbarg das Mädchen die Haube und die anderen Geschenke hinter dem Rücken und eilte aus dem Zimmer.
„Ich werde mich innerhalb der nächsten Stunde ebenfalls zurückziehen“, informierte der Haushofmeister seine Herrin gemessenen Tones. „Habt Ihr noch irgendeinen Wunsch?“
Er bot dabei einen so grimmigen Anblick, dass Julianna unwillkürlich aufseufzte, dann aber lächelnd erwiderte: „Nur den einen, Mr Brock, dass Ihr Euch bemüht, Eure freien Tage zu genießen. Ich verspreche, während Eurer Abwesenheit kein Unheil anzurichten, soweit es in meiner Macht steht.“
Doch diese freundlich neckenden Worte verfehlten ihre Wirkung, und Mr Brock empfahl sich mit einer Miene, die deutlich zum Ausdruck brachte, dass er Julianna am liebsten wie ein unartiges Kind übers Knie gelegt hätte. Diese hinwiederum ließ allen Anstand fahren und streckte dem würdevoll Davonschreitenden hinter seinem Rücken die Zunge heraus.
Ein schwindelerregendes Gefühl von Freiheit, das dem eines entlassenen Gefangenen gleichen musste, veranlasste sie anschließend zu einem ausgelassenen Tanz zwischen den Möbeln ihres Salons, bis sie atemlos lachend auf ihre Polsterbank fiel.
Als sich ihre ungestüme Freude wieder etwas gelegt hatte, begann sie darüber nachzudenken, was sie in den nächsten zweieinhalb Tagen wohl anfangen sollte. Sir Edmunds wortkarge Gesellschaft erschien ihr kaum besonders verlockend. Aber wäre jetzt nicht eine günstige Gelegenheit, sich endlich einmal in
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