Lockende Versuchung
darauf erwies sich, dass Mr Brock die Reaktion seines Herrn keineswegs überschätzt hatte. „Was hast du gemacht?“, brüllte er wütend.
Julianna erwiderte mit Unschuldsmiene: „Oh, ich ahnte ja nicht, dass das Fieber auch Euerm Gehör geschadet hat, Sir Edmund. Also, noch einmal etwas lauter und langsamer: Ich … habe … Brock … nach … Surrey … geschickt, um … Abbot’s Leigh … für … unsere … Ankunft … in … der … nächsten … Woche … in … Ordnung … zu … bringen.“
Vorsichtshalber hatte sie sich jedoch dem Bett nicht auf Armlänge genähert, sodass Sir Edmund ihr nicht wütend an die Kehle fahren konnte, wie er es zweifellos am liebsten getan hätte.
„Verdammt und zugenäht, ich bin nicht taub, Mädchen, sondern traue meinen Ohren nicht! Warum hast du mich nicht vorher gefragt? Ich habe nämlich noch nicht die Kraft für eine lange Reise.“
„Aber so beruhigt Euch doch, Sir Edmund“, entgegnete Julianna übertrieben liebenswürdig. „Doktor Cail ist mit mir einer Meinung, dass Euch die Kutschfahrt nach Marlwood nicht schaden wird. Es ist doch nicht einmal eine Tagesreise. Und im übrigen spüren wir doch beide, dass uns die frische Landluft sehr guttun wird.“
Ihre ruhige und vernünftige Argumentation brachte Sir Edmund vorübergehend zum Schweigen. Dann jedoch fuhr er hartnäckig fort: „Alles gut und schön, aber warum hat es niemand für nötig gehalten, vorher mit mir darüber zu sprechen? Es wäre erfreulich, wenn wenigstens der Anschein gewahrt würde, dass ich noch Herr im eigenen Hause bin.“
Julianna warf einen hilfeflehenden Blick zum Himmel. „Und was hättet Ihr getan, wenn Ihr gefragt worden wäret?“
Hals über Kopf ging Sir Edmund in diese Falle. „Ich hätte dieses törichte Unternehmen natürlich untersagt …“
„Na, bitte!“ Genau das hatte Julianna hören wollen. „Und den armen Mr Brock vor die Frage gestellt, wessen Befehlen er nun eigentlich gehorchen soll! Dieses Dilemma habe ich ihm erspart und nichts weiter. Wenn Ihr allerdings strikt dagegen seid, kann ich ihn ja zurückholen …“
„Das wäre schwerlich zu rechtfertigen, da du dir schon so viel Mühe damit gemacht hast“, seufzte Sir Edmund mit ergebener Miene. „Bist du nun zufrieden, da du wieder einmal deinen Willen bekommst?“
„Gewiss, gewiss. Es gibt aber noch ein kleines Problem“, erwiderte Julianna reichlich waghalsig.
Sir Edmund runzelte missvergnügt die Stirn. „Was denn noch, zum Teufel?“
„Nun, ich fürchte, dass es möglicherweise Euern Stolz verletzen würde, wenn Ihr zur Kutsche getragen werdet müsstet.“ Julianna wagte kaum, Atem zu holen, bevor sie rasch fortfuhr: „Wir haben noch eine ganze Woche vor uns. Wenn wir uns in dieser Zeit gemeinsam bemühen, werdet Ihr sicher mithilfe eines Stockes oder an meinem Arm dieses Haus hier auf Euern eigenen Beinen verlassen können.“
„Keine Frage, aber …“
„Ich wusste, dass Ihr derselben Meinung sein würdet.“ Juliannas strahlendes Lächeln war geradezu entwaffnend. „Ihr seid doch so ein vernünftiger Mensch.“ Sie drückte dem Gemahl einen hastigen Kuss auf die Stirn und eilte davon, um seine Reisevorbereitungen in Angriff zu nehmen.
Sir Edmund hingegen lehnte sich einigermaßen beruhigt in die Kissen zurück und gestand sich dann nach kurzem Nachdenken ein, dass er es eigentlich kaum mehr erwarten konnte, Julianna Abbot’s Leigh zu zeigen. Seine erste Frau hatte er nie um ihre Begleitung gebeten, denn sie hatte den alten Kasten von Herzen verabscheut. Julianna dagegen würde dort aussehen, wie eine kostbare Gemme in der passenden Fassung.
Erschöpft sank Julianna in den erstbesten Armstuhl. Eine solche Woche würde sie um keinen Preis noch einmal durchmachen wollen. Sie hatte an Brocks Stelle das Einpacken beaufsichtigen, mit der Schneiderin über die rasche Fertigstellung der Sommergarderobe verhandeln und zahllose Dinge einkaufen müssen, die auf dem Lande nur schwer zu beschaffen waren. Das alles noch neben den anstrengenden Stunden mit Sir Edmund!
Mit einer Mischung aus Schelten und Schmeicheln hatte sie ihn mühsam auf seinen ersten Gang außer Haus vorbereitet. Begonnen hatten sie mit wenigen Schritten zwischen Bett und Stuhl. Dann war der Weg zur Zimmertür gefolgt, bis sie schließlich wagen konnte, mit Sir Edmund im Korridor auf und ab zu gehen.
Als dann der Tag der Abreise herangekommen war, erwies sich der Gang zur wartenden Kutsche und das Einsteigen allerdings noch
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