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Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt?

Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt?

Titel: Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Essling
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nicht merken, dabei hat er nur vier Sätze zu sagen, genau wie ich. Wir Geister werden angestrahlt, sonst ist bei der Vorstellung alles dunkel. Bei den Proben haben wir aber nur normales Tageslicht. Peter Maisch aus der achten Klasse, der den Hauptgeist spielt, hatte eine Idee. Wolfgang sollte seinen Text auf seinen Zylinder schreiben und ihn dann abnehmen, damit er seine Rolle ablesen kann. Bei der Aufführung ist es ja dunkel, da sieht man nicht, dass er abliest. Das haben wir dann auch so gemacht und es hat prima hingehauen.
    Bei den Proben.
    Dann kam der große Tag und mit ihm der Abend. Die Turnhalle war voll. Ganz Kattenbach wollte unser Stück sehen. Die großen Jungen haben eine Bühne gezimmert, die bei jedem Schritt ächzt, was allerdings gut zu uns Gespenstern passt. Ich habe in meinem Bettlaken gefroren; denn die Heizung hat nicht so richtig funktioniert. Gleichzeitig war mir aber auch ganz heiß. Ich hatte so eine Art Angst, bin aber auch sehr froh gewesen. Ich freute mich auf meinen Auftritt, hatte aber auch Bedenken, ob ich alles richtig machen würde. Und ich wollte gut sein. Während des ersten Aktes lief es gut. Ich sagte mir immer abwechselnd, dass es auch bei mir gut laufen würde, oder dass ich eine Katastrophe sei.
    Ich wurde keine Katastrophe. Der Text fiel mir rechtzeitig wieder ein und meine Darstellung verlief reibungslos. Mein dramatischer Abgang wurde sogar mit Beifall belohnt. Ein tolles Gefühl!
    Ich verschwand in der Dunkelheit und mir fiel etwas Fürchterliches ein. Ja, es war ganz dunkel, nur die Schauspieler wurden angestrahlt. Das heißt, ich sah gar nichts. Und wenn ich nichts sah, konnte auch Wolfgang nichts sehen. Also nichts von seinem Zylinder ablesen. O je! Er kam als Nächster dran. Ich hastete zu unserem Regisseur. „Herr Lorbach, man sieht nichts auf der Bühne!“ Er knurrte gereizt in meine Richtung: „Na und? Hauptsache, die Zuschauer sehen was!“ „Aber ich meine wegen Wolfgang, der liest doch von seinem Hut ab, und wenn es dunkel ist, kann er nichts erkennen!“ „Herrje“, Herr Lorbach strich sich fahrig über seinen grauen Schnurrbart. „Was machen wir bloß? Wer kann zufällig Wolfgangs Text?“ Ich hörte mich ganz ruhig sagen: „Ich!“ Und das stimmte. Aus Langeweile hatte ich mir bei den Proben die Rollen meiner Mitgeister eingeprägt. „Na los, worauf wartest Du noch? Geh heimlich auf die Bühne und sag Wolfgang seinen Text vor. Aber leise, hörst Du?“
    Mittlerweile stand Wolfgang schon auf der Bühne und nahm seinen Zylinder in die Hand. Jetzt fing er an: „Ich bin der Geist …“ Weiter kam er nicht. Es war stockfinster. In der Halle war es so ruhig, dass man die Stille richtig spürte. Wie er so da stand, angestrahlt, im Glanze seiner blonden Locken und nicht weiterkam, hatte die Szene wirklich etwas Hochdramatisches an sich. „Deines verstorbenen Freundes, den Du ruiniert hast“, flüsterte ich.
    Der Junge hielt seinen Hut weiterhin krampfhaft fest, ohne sich zu rühren. Es war immer noch mucksmäuschenstill im Saal. „… Deines verstorbenen Freundes, den Du …“, wiederholte ich.
    „Bist Du das Ulrike?“ Er sprach mit ganz normaler Stimme. Ich wäre fast gestorben, aber ich flüsterte energisch weiter: „Mann, hör zu, ich sag Dir Deinen Text vor, Satz für Satz!“ Jetzt begriff er endlich und es klappte leidlich. So gingen wir seinen Text durch.
    Als Wolfgang endlich abtrat, war ich fix und fertig, viel mehr als bei meiner eigenen Rolle.
    Der Kerl hat sich nicht mal bei mir bedankt.
    Scrooge war jetzt noch auf der Bühne und wartete auf den dritten Geist. Ich wollte gerade raushuschen, solange es noch dunkel war, da blitzte der Scheinwerfer auf und ich erstrahlte erneut im vollen Licht. Sollte ich raus rennen oder so tun, als würde ich noch mal erscheinen? Ich wusste es wirklich nicht. Ich hatte wohl zu lange gezögert; denn plötzlich lachten die Leute wie verrückt. Am Bühneneingang stand ein verzweifelter Regisseur und zischte mir zu: „Spiel, Ulrike, spiel noch mal Deine Szene durch! Mach mit, Holger“, sagte er zu Scrooge. Also spielten wir unsere Szene noch mal richtig durch.
    Die Leute hörten langsam auf zu lachen und endlich, endlich konnte ich mit dem gehauchten „Scrooge, bessere Dich“, entschweben.
    Wir bekamen aber trotz der Pannen viel Beifall. Den Leuten hatte es wohl ganz gut gefallen.
    Mein Vater war auch unter den Zuschauern. Ich ging mit ihm nach Hause. Er hat mich sehr gelobt, hat dabei aber unterdrückt

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