Lockruf der Highlands: Roman (German Edition)
uns voneinander so weit entfernt, dass ich nicht mehr hören konnte, wie er nach Kate rief. Dafür hörte ich in der Ferne das Tosen des Flusses.« Er zögerte, ehe er leise fortfuhr: »Da trat ich unter eine riesige Fichte, die den Schnee vor dem Regen bewahrt hatte. Dort fand ich Spuren – von einem kleinen Kind und einem Hund.«
Er blickte durch die Windschutzscheibe, Cam aber wusste, dass er die Straße vor sich gar nicht wahrnahm. »Ich rannte in Richtung der Spuren, also direkt zum Fluss.«
Camry umfasste das Steuer fester. »Ich weiß, dass Kate überlebt hat, denn du hast mal erwähnt, dass sie in Fionas Alter ist. Aber ich möchte von der Geschichte lieber nichts mehr hören.«
»Doch, das willst du sehr wohl.« Er streckte die Hand aus und tätschelte ihr Bein. »Weil nämlich der Augenblick gekommen war, als ich genau dasselbe
durchmachte wie meine Mutter, als sechs Jahre zuvor ich ausgerissen war.« Er atmete tief durch, ließ aber die Hand auf ihrem Bein. »Nie zuvor und nie wieder stand ich solche Ängste aus! Mir brach kalter Schweiß aus, während sich mir ein Schreckensszenario aufdrängte – Kate, die vom Fluss davongerissen wurde. Ich hasste diesen verdammten Köter, weil er sie in den Wald gelockt hatte, und schwor mir, ich würde ihm seinen hässlichen schwarzen Hals umdrehen, wenn ich die beiden fände.«
Seine Hand umfasste ihren Schenkel fester, dann zog er sie plötzlich weg. »Das Bild, das sich mir bot, als ich den Fluss erreichte, verfolgt mich bis heute. Der reinste Albtraum! Kate hing wenige Zentimeter über dem reißenden Wasser am Rand des Eises. Sie war völlig reglos, und der Hund – ihr schöner, räudiger Asylköter – hatte seine Zähne in ihre Jacke gegraben und bewahrte sie so davor, ins Wasser zu fallen.« Luke sah sie an. »Ich habe keine Ahnung, wie lange Maxine das Mädchen schon so festgehalten hatte, aber ich schwöre, dass der Hund gewillt war, ihr Schicksal zu teilen, falls Kate ins Wasser stürzte.«
Camry warf einen Blick in den Spiegel, lenkte ihr Fahrzeug an den Rand und bremste auf dem Gras. Sie hielt an und schaltete den Motor ab. Dann schloss sie die Augen und begrub ihr Gesicht in den Händen auf dem Steuer.
»He, schon gut«, sagte er und umfasste ihren Kopf mit seiner breiten Hand. »Ich habe also meine Schneeschuhe abgeschnallt und habe mich vorsichtig näher herangetastet. Maxine zitterte unbeherrscht, sein Maul war blutig von der Anstrengung, die seine Zähne auszuhalten hatten. Auch seine Pfoten waren blutig, und ich konnte sehen, wo er die Eisschicht beschädigt hatte bei dem Versuch, Kate über den Rand zu ziehen.«
Camry, die sich die Szene allzu lebhaft vorstellte und fürchtete, was da nun kam, kletterte über die Konsole in seine Arme.
Luke drückte sie an seine Brust und fuhr leise fort:
»Als ich mich den beiden näherte, spürte ich, wie die Eisscholle nachgab. Rufe waren zu hören – André und ein paar Männer vom Suchtrupp hatten uns erspäht. Aber es war zu spät. Ich bekam gerade noch Kates Jacke zu fassen, zog sie herauf, zerrte sie aus Maxines Maul, und schleuderte sie, so weit ich konnte, übers Eis, als die Scholle auch schon brach. Der Hund und ich landeten im Wasser.«
»O Gott«, hauchte Camry. »Das muss ja eiskalt gewesen sein.«
»Mir blieb buchstäblich die Luft weg. Die Wucht der Strömung schleuderte mich gegen ein paar Felsklippen und drückte mich unters Wasser, bis ich glaubte, mir würde die Lunge bersten.«
»Und da bist du gestorben.«
Seine Umarmung wurde fester. »Plötzlich spürte ich keine Kälte mehr, und alles wurde … friedvoll.«
»Aber dann bist du zu dir gekommen.«
»Die Strömung muss mich gegen einen Felsen gedrückt haben, ich kam an die Wasseroberfläche und sog die Luft tief in meine Lungen ein, völlig desorientiert. Dann packte mich etwas an der Schulter, und ich spürte etwas an meinen Beinen.«
»Maxine.«
»Wie bei Kate verbiss der Hund sich in mich und schwamm gegen die Strömung an. Es war noch so hell, dass ich das Eis sehen konnte, das vor uns das seichte Wasser bedeckte. Wenn wir es nicht ans Ufer schafften, würden wir unter das Eis gedrückt werden, das war mir klar.«
»Ihr habt es beide geschafft.«
»Ich habe es geschafft!«
»Und Maxine?«
»Die folgenden drei Wochen brachte ich damit zu, nach seinem Kadaver zu suchen. Umsonst.«
»Er ist umgekommen!«, jammerte Camry und drückte ihr Gesicht an sein Hemd. »Ich habe doch gewusst, warum ich diese Geschichte
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