Lockruf der Highlands: Roman (German Edition)
ihn auch noch über mein Leben bestimmen lassen sollte.«
Sie hob wieder den Kopf. »War er gemein zu dir?«
»Aber nein. André ist ein guter Mensch. Er hat sich sehr viel mit mir beschäftigt.« Er zog Camry wieder an sich. »In den ersten dreizehn Jahren meines Lebens trieb ich so ziemlich, was ich wollte, ohne auf viel Widerspruch zu stoßen. Ich schloss mich mit meinen Büchern und meinem Computer tagelang ein, und kein Mensch störte mich. Aber als wir dann bei André einzogen, da schleppte er mich ständig ins Freie. Damit endlich der Mief aus mir herausgeblasen wird, wie er sagte.«
Luke lachte. »Er hat versucht, mir Baseball beizubringen – ich schlug immer mit Absicht daneben. Also nahm er mich mit auf die Jagd, aber ich trampelte so laut durch den Wald, dass ich das Wild verschreckt habe. Gott segne seine Geduld! So sehr ich seine guten Absichten auch sabotierte, er gab nie auf – bis zu dem Tag, als ich von zu Hause weglief.«
»Du bist von zu Hause weggelaufen? Wie alt warst du denn da?«
»Vierzehn. Meine Mutter und André eröffneten mir, dass ich eine kleine Schwester bekommen sollte.« Er lachte auf. »Obwohl ich alles von Vögeln und Bienen wusste, war ich entsetzt, als mir aufging, dass sie Sex gehabt hatten. An jenem Abend wartete ich ab, bis sie zu Bett gingen, dann machte ich mich davon.«
»Wohin bist du gegangen?«, fragte sie mit verhaltenem Kichern.
»Ich wollte zurück zu Großmutter und Tante Faith, deshalb habe ich mich auf den Weg nach Vancouver gemacht – eine Entfernung von über hundert Meilen. Das war mir einerlei, ich wollte nur mein früheres eigenständiges Leben wiederhaben, samt mürrischer Tante und allem Drum und Dran.«
»Und? Haben sie dich wieder aufgenommen?«
»Ich habe nicht mal zehn Meilen geschafft. Es war mitten im Winter, und André hat mich aufgegabelt, als ich halb erfroren am Straßenrand dahinstiefelte. Auf der Rückfahrt sprach er kein Wort, doch als wir vor dem Haus anlangten, da ließ er mich nicht hineingehen, um mich aufzuwärmen. Er zerrte mich in den Schuppen und …«
»Er hat dich geschlagen?«, fragte sie atemlos und richtete sich wieder auf.
Luke grinste, als er ihre entrüstete Miene sah. »Nein. Es war das erste Mal, dass ich ihn im Zorn
erlebte. Er drückte mir Säge und Axt in die Hand und verlangte von mir, Brennholz fürs nächste Jahr zu machen. Und während der Arbeit sollte ich mir eine einzige Frage überlegen und ihm dann die Antwort sagen, wenn ich fertig wäre.«
»Und die Frage war?«
»Er fragte mich nach der Definition von Liebe.«
Camry bekam große Augen. »Und wie hast du Liebe dann definiert?«
Luke schnaubte. »Ich war vierzehn – was zum Teufel hätte ich von Liebe wissen sollen?«
Sie krabbelte von der Couch und sah ihn finster an. »Aber du wirst ja wohl etwas gesagt haben! Du bist im Holzschuppen schließlich nicht erfroren, wie man sieht.«
Luke stand auf und bückte sich nach dem Sender, ehe er Camry wieder anschaute. »Tja, ich habe ihm eine Antwort geliefert, die mir zumindest wieder Einlass ins Haus verschaffte – wenn sie es mir auch nicht erspart hat, acht Klafter Holz zu hacken. André sagte, meine Antwort wäre nur der Anfang. Ob ich auch den Rest begriffen hätte, würde er erst wissen, wenn ich mich bei meiner Mutter entschuldigt hätte.«
»Nun … hast du dich entschuldigt?«
Er nickte. »Mit zwanzig.«
»Also, wie lautet deine Definition von Liebe?«, fragte sie neugierig.
Luke sah sie nachdenklich an und fragte sich, wie weit er gehen sollte. »Wenn ich bleiben darf, sage ich es dir auf der Fahrt nach Pine Creek.«
Sie stampfte vor Enttäuschung mit dem Fuß auf, dann fasste sie sich an ihr schmerzendes Bein und humpelte zurück zur Couch. »Schau, wozu du mich gebracht hast!«, murmelte sie und legte verärgert ihr Bein auf dem Kaffeetisch ab. »Das ist Erpressung.«
»Du kannst deiner Mutter danken, dass sie mir diese Lehre erteilt hat.« Er hockte sich auf den Tisch, warf ihr den Sender in den Schoß, legte ihren Fuß auf seinen Schenkel, um ihr die Socke abzustreifen und den Knöchel zu massieren. »Als ich aus dem Schuppen kam, sagte ich zu André, Liebe bedeute, dass man jemandem, der einen liebt, nicht wehtun dürfe.«
Sie lehnte sich zurück und spielte mit dem Sender. »Eine gute Antwort für einen Vierzehnjährigen.«
»Laut André jedoch nicht vollständig.«
»Und warum hat er dir nicht die ganze Antwort gesagt?«
»Glaube nicht, dass ich ihn nicht darum
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