Lockruf Der Leidenschaft
würde ich gern mein Gedächtnis erproben.« Sie überreichte ihm das Skript, ehe sie sich neben ihm auf dem Sofa niederließ, sorgfältig ihre Röcke ordnete und ihn dabei verstohlen musterte. Hatte er ihre Botschaft verstanden? Aber er müsste schon ein Dummkopf sein, um sie nicht zu verstehen, und in solcherlei Angelegenheiten war George Villiers alles andere als ein Dummkopf.
Polly kannte ihre Rolle zwar in- und auswendig, dennoch machte sie ausreichend Fehler, um ihre Vorgehensweise etwas glaubwürdiger erscheinen zu lassen und dem Herzog die Gelegenheit zu bieten, sie zu korrigieren und als Gegenleistung ein errötendes »Danke schön« zu erhalten. Immer wieder erschien das eine oder andere Mitglied der Theaterkompanie im Gardero-benraum, doch der Mangel an Privatsphäre war ihren Absichten nur allzu dienlich. Sie wollte sich unter keinen Umständen in der Situation wieder finden, Buckingham offen ihr Interesse gestehen zu müssen, dass sie gern unter seiner Gönnerschaft stünde. Stattdessen wollte sie ihn mit kleinen Anspielungen und Zweideutigkeiten locken und ihr Netz auswerfen, und es war wesentlich einfacher, all das praktisch in der Öffentlichkeit zu tun als im Privaten, wo er ein wenig mehr Offenheit von ihr erwarten würde. »Ich bin Euch so dankbar, Sir.« Nach einer Stunde stand Polly wieder auf. »Ich denke, nun sollte ich den Text zu Thomas' Zufriedenheit beherrschen. Ihr seid mir eine große Hilfe gewesen.«
»Dürfte ich vielleicht im Gegenzug um einen kleinen Gefallen bitten?« Buckingham nahm eine kleine Prise Schnupftabak und warf ihr unter seinen leicht hängenden Lidern einen forschenden Blick zu. Polly vollführte einen Knicks. »Wie darf ich Euch behilflich sein, Mylord?«
»Ich veranstalte heute Abend eine kleine Kartenspielparty, zu der nur wenige meiner Freunde kommen werden. Darf ich so kühn sein und mich der Hoffnung hingeben, dass Ihr uns dabei vielleicht Gesellschaft leisten würdet?« Er verschwendet keine Zeit, dachte Polly. Aber warum sollte er auch? Warum sollte er den nächsten Schritt auch noch lange hinauszögern, nachdem das Spiel erst einmal begonnen hatte?
»Ich bin untröstlich, Sir, aber ich bin heute Abend schon zu einer Dinnergesellschaft eingeladen, die von Lord De Winter ausgerichtet wird«, entgegnete Polly mit sanfter Stimme.
»Und das ist keine Verabredung, die Ihr vielleicht wieder aufkündigen könntet?«, beharrte Buckingham, und seine schweren Augenlider senkten sich noch ein wenig mehr.
»Ich bedauere sehr, aber das ist völlig ausgeschlossen. Ich könnte niemals so unhöflich sein, Euer Gnaden.« Mit argloser Miene und einem Ausdruck aufrichtigen Bedauerns blickte sie ihn an, während ein entschuldigendes Lächeln um ihre Mundwinkel spielte.
Es herrschte ein Augenblick Stille, während der Herzog Polly mit zusammengekniffenen Augen und unverhohlenem Missfallen musterte. Pollys Herz begann zu rasen. Wusste sie wirklich so genau, worauf sie sich da einließ, wenn sie mit voller Absicht so viel mehr riskierte als nur sein Missfallen? Doch dann lächelte der Herzog wieder, zuckte mit den Schultern und ließ seine Schnupftabakdose wieder in seine Tasche gleiten. »Ich verstehe. In Zukunft muss ich wohl dafür sorgen, dass meine Einladung Euch auch früh genug erreicht, um Vorrang zu genießen, Mistress Wyat.«
»Darüber würde ich mich sehr freuen, Sir«, erwiderte Polly und ließ ein ganzes Königreich an Verheißungen in ihrer sanften Stimme mitschwingen.
Erneut flackerte der nackte Hunger in Buckinghams Augen auf, meißelte sich für einen kurzen Augenblick in seine verlebten Züge. Dann verbeugte er sich und führte ihre Hand an seine Lippen. »Euer ergebener Diener, Madame.« »Polly!« Thomas kam in den Garderobenraum gestürmt, blieb jedoch abrupt stehen. »Ich bitte um Entschuldigung, Buckingham, aber wenn dieses Stück jemals aufgeführt werden soll, brauche ich augenblicklich die Anwesenheit von Mistress Wyat auf der Bühne.«
»Ich bin auch schon so gut wie fertig«, erwiderte Polly, trat am Herzog vorbei und ging auf die Tür zu. »Seine Gnaden hatte so unendlich viel Geduld mit mir und war so außerordentlich hilfreich.«
»Dann stehe ich natürlich in seiner Schuld«, entgegnete Thomas mit einem Anflug von Sarkasmus. »Ich weiß nicht, was über Euch gekommen ist, dass Ihr Eure Rolle so vergessen konntet.«
Und ich wette, dass du das auch nie herausfinden wirst, dachte Polly und hoffte inbrünstig, mit dieser Art vorgetäuschter
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