Lockruf Der Leidenschaft
unanständige Gedanken, Mylord«, erklärte Polly sittsam über den Rand der Steppdecke hinweg, die sie bis zur Nasenspitze hinaufgezogen hatte. Unwillkürlich folgte Nicholas ihrem Blick. »Ich glaube nicht, dass du ausgerechnet jetzt nach unten gehen und Mrs. Benson unter die Augen treten solltest«, fuhr sie fort. »Erst, wenn du dich ... nun ja ... wieder ein wenig beruhigt hast, wenn du verstehst, was ich meine.« Die haselnussbraunen Augen funkelten verschmitzt, und ihre Zunge blitzte zwischen den Lippen hervor. »Ich fürchte, du hast Recht«, räumte Seine Lordschaft ein und streifte seine Breeches langsam wieder ab. Er griff nach der Decke, riss sie Polly aus den Händen und schleuderte sie beiseite.
»Aber das Feuer ist doch ausgegangen!«, protestierte Polly, als die ungemütlich kalte Luft über ihre Haut strich, die gerade erst wieder warm geworden war.
»Das ist der Preis für deine Unverschämtheit«, erklärte Nicholas fröhlich. »Außerdem wirst du dich auch bald schon nicht mehr über die Kälte beschweren. Dreh dich um!«
Als rund eine Stunde später Mrs. Benson an die Tür klopfte, hatte Polly bereits gelernt, dass es eine ganze Reihe neuer Möglichkeiten gab, wie sich die Temperatur des Körpers wieder erhöhen ließ. Nicholas lehnte sich in die Kissen zurück, bat ihre Vermieterin einzutreten und begrüßte die etwas rundliche Dame strahlend, die daraufhin geschäftig hereingeeilt kam.
»Na, da muss wohl mal wieder das Feuer entfacht werden«, erklärte die Hauswirtin und schüttete einen Eimer Kohlen in den Kamin. »Wünscht Ihr, dass mein Mann Euch rasiert, Mylord?« Mrs. Benson rieb sich die Hände an einem Handtuch ab. »Er ist sehr geschickt mit dem Rasiermesser. Er war früher mal der Kammerdiener eines Gentlemans, Sir.«
Nick fuhr sich mit der Hand über sein unrasiertes Kinn. »Dafür wäre ich sehr dankbar, Mrs. Benson. Es ist sehr nett von ihm.«
Die Frau erstrahlte. »Nicht der Rede wert. Bloß heute kommt Ihr hier bestimmt nicht mehr weg. Es schneit immer noch.«
Als Polly das hörte, setzte sie sich hoffnungsvoll auf. »Vielleicht bekommt Ihr ja noch nicht einmal die Tür auf.« »Höchstwahrscheinlich nicht.« Das Lächeln der Hauswirtin wurde noch breiter. Offensichtlich amüsierte sie sich über den Gegensatz zwischen Pollys Naivität und ihrer außergewöhnlich sinnlichen, atemberaubenden Schönheit ebenso wie er. »Aber mein Mann und mein Sohn werden sich schon bald mit der Schaufel dranmachen.« Damit wandte sie sich wieder dem Feuer zu und stocherte so lange in den Kohlen herum, bis sie wieder glühten und ein munteres Feuer im Kamin prasselte. »So, das hätten wir. Und jetzt bring ich Euch heißes Wasser und schick meinen Mann hoch, Mylord. Braucht die junge Dame Hilfe beim Anziehen?«
Erstaunt blickte Polly sie an. »Nein ... nein, danke schön.« Die Hauswirtin nickte kurz, knickste flüchtig und eilte aus dem Raum. »Wie kommt sie darauf, dass ich Hilfe beim Anziehen brauche?« Polly stieg aus dem Bett. »Weil Damen diese Hilfe für gewöhnlich eben brauchen«, entgegnete Mylord mit einem geheimnisvollen Lächeln. Seine Worte zeigten die erwartete Wirkung - Polly blieb stehen und starrte ihn an.
»Ich glaube aber nicht, dass einem Bastard aus Newgate, aufgewachsen in einer Taverne, ein solcher Titel zusteht«, widersprach sie zaghaft.
»Aber vielleicht der Mätresse eines Lords«, schlug er vor. »Wir haben uns noch nicht darüber unterhalten, welchen Hintergrund wir uns für dich ausdenken wollen. Aber vielleicht solltest du ja jetzt darüber nachdenken. Du willst dich Lord Killigrew wohl kaum als ... als ...« Nicholas suchte nach dem richtigen Wort, ehe er zu dem Schluss kam, dass Pollys Wortwahl durchaus passend gewesen war. »Als Bastard aus Newgate vorstellen. Denn obwohl Schauspieler bei Hofe willkommen sind, würde eine Herkunft wie die deine für einigen Wirbel sorgen. Und dir ist ja wohl klar, dass du die Zustimmung des Königs benötigst, ehe du in Killi-grews Truppe aufgenommen werden kannst.«
Polly trat ein wenig näher an das wärmende Feuer heran, während sie sich Nicholas' Worte durch den Kopf gehen ließ. Langsam, wie ein Stück Grillfleisch am Bratspieß, drehte sie sich um die eigene Achse, um ihre nackte Haut gleichmäßig zu wärmen.
Wie gewöhnlich schien sie sich ihrer Nacktheit auf geradezu erhabene Weise unbewusst zu sein. Ein ungezwungenes Verhältnis zum eigenen Körper, dachte Nicholas, ist ein wertvoller Vorteil für jemanden,
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