Lockruf Der Leidenschaft
der zur Bühne will. Mit stiller Belustigung beobachtete er Pollys nachdenkliches Gesicht noch eine Weile. »Wir haben im letzten Monat eine ganze Menge Zeit und Anstrengungen darauf verwendet, um sicher sein zu können, dass dein Benehmen und deine Fertigkeiten einem ehrbaren Hintergrund entsprechen«, erinnerte er sie beiläufig. »Einem Hintergrund, der bei Hofe seine Zwecke bestimmt nicht verfehlen wird.« »Dieser Zusammenhang war mir bisher noch gar nicht bewusst«, sagte Polly langsam. »Mir war zwar klar, dass Master Killigrew zu der Überzeugung gebracht werden muss, dass ich Talent besitze, aber so weit, dass auch der König mich sehen wird, hatte ich noch gar nicht gedacht.«
»Wenn Killigrew zustimmt, dich in seine Truppe aufzunehmen, wird er dich in einer seiner Inszenierungen vorführen«, erklärte Nick ihr. »Er lädt den König zu einem Besuch ein, und bei dieser Gelegenheit wird er dich ihm vorstellen. Der Rest liegt dann an dir, wie du weißt, sind die Mitglieder der königlichen Schauspielkompanie Diener Seiner Majestät. Sie tragen die Livree des Königs und beziehen auch ihren Lohn aus der königlichen Schatztruhe. Genauso verhält es sich mit der Truppe des Herzogs von York, nur dass sie zur Dienerschaft Seiner Gnaden gehört. King Charles wird also selbst entscheiden müssen, ob er dich einstellen will.« »Oh.« Polly erschien der Gedanke, dass auch Seine Majestät, König Charles II., Gefallen an ihr finden musste, reichlich entmutigend.
Nick fiel es nicht allzu schwer, ihre Gedanken zu erraten. »Mach dir deswegen keine Gedanken, Liebes. Der König ist für die verschiedenen Aspekte weiblicher Schönheit äußerst empfänglich, und du besitzt sie schließlich alle - sogar im Übermaß.«
Polly errötete, und Nicholas lachte leise. Konnte ihr das wirklich noch nicht aufgefallen sein? »Wenn du auch nur das geringste Talent zur Schauspielerei besitzt, brauchst du dir keinerlei Sorgen zu machen.« »Ich besitze sogar mehr als nur ein geringes Talent«, erklärte Polly, was darauf hindeutete, dass es mit ihrer Bescheidenheit doch nicht allzu weit her war.
»Daran hege ich auch keine Zweifel«, stimmte Kincaid zu. »Aber wenn du Zugang zum Hof erlangen möchtest, tätest du gut daran, die näheren Umstände deiner Geburt und Erziehung zu verheimlichen.« »Aber es sind doch nicht alle Schauspieler von vornehmer Abstammung«, wandte Polly ein. »Die Tochter des Schlachters in der Tower Street wurde auch Orangen-Mädchen im Theater des Herzogs von York, bevor sie einen Gönner gefunden hat und schließlich Schauspielerin werden konnte.«
»Wenn du nur eine mittelmäßige Schauspielerin seinmöchtest, die es niemals schaffen wird, aus den hinteren Reihen hervorzutreten, kannst du durchaus aus einfachen Verhältnissen stammen«, erklärte Kincaid scharf. »Aber ich dachte, du willst ein Stern am Theaterhimmel werden. Und nur erstklassige Schauspieler werden zu Höflingen, oder sie gehören eben nicht zur ersten Garde.«
»Vielleicht sollte ich mich einfach als geheimnisumwitterte Frau ausgeben«, überlegte Polly mit einem Funkeln in den Augen. »Mit einer dunklen, rätselhaften Vergangenheit. Wäre das eine gute Idee, was meinst du?« Sie wandte ihm ihren Rücken zu, der von der Hitze schon gerötet war.
»Das wäre mal etwas anderes«, murmelte Nick und machte Anstalten aufzustehen, ehe ihn ein lautes Klopfen an der Tür innehalten ließ. Seufzend griff er nach seinem Hemd. »Einen Augenblick«, rief er. »Ich vermute, das ist Hauswirt Benson, der gekommen ist, um mich zurechtzustutzen. Ich werde ihn im Salon empfangen. Zieh du dich jetzt besser an und komm erst heraus, wenn du salonfähig bist.«
Eilig zog Polly ihr Tageskleid über, das Kincaid ihr beim Royal Exchange gekauft hatte. Es war kein Gewand, wie es die Küchenmägde trugen - ein Kittelkleid, eine Haube und eine Schürze galten als völlig ausreichend -, deshalb hatte sie es bisher nur getragen, wenn Nicholas es ausdrücklich gewünscht hatte. Unter den gegenwärtigen Umständen war es jedoch geradezu ihre Pflicht, das Kleid zu tragen. Anschließend entwirrte sie ihr Haar, das von ihrer nächtlichen und morgendlichen Beschäftigung noch ein wenig zerzaust war. Doch ihre Haarnadeln lagen noch im Salon, wo Nick sie am Vorabend hatte liegen lassen. Damit blieb ihr keine andere Wahl, als ihr Haar offen über den sauberen Spitzenkragen ihres Kleides fallen zu lassen.
Im Salon bot sich ihr ein höchst ungewöhnlicher Anblick. Die
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