Lockruf Der Nacht
vergeben.
Wir fahren eine Weile durch die Gegend, bis wir zur 5th Avenue kommen und vor einem Apartmentgebäude halten. Die Wagentür öffnet sich wie von Geisterhand und der aufmerksame Portier eilt gleich heran und hilft mir, aus dem tiefliegenden Sitz auszusteigen. Ob er öfter irgendwelchen Damen aus diesem UFO helfen muss? Ich stelle mich neben den Eingang und warte, bis Yven zu mir aufschließt. Er wirkt sehr selbstsicher, weltmännisch und in keinster Weise arrogant.
Es geht in die sechzigste Etage. Eine Fahrt zum Himmel.
Das Apartment erinnert an ein Schloss, nur dass der französische Park vor der Tür fehlt. Hohe Deckengewölbe, Säulen, Säle, Krohnleuchter, edle Antiquitäten, Marmorböden und eine mit einem hellblauen Läufer verlegte Treppe, die sich nach ein paar Stufen nach links und rechts teilt. Dort, wo die Prinzessin mit ihrem rauschenden Ballkleid herunterschreitet und von allen Gästen bewundert wird. Das ist das Bild, das mir dazu einfällt. Im zweiten Stock geht es ebenso pompös mit einer Bibliothek und drei großen Zimmern weiter. Aber das Schönste ist das Schlafzimmer. Es nimmt eine ganze Etage ein. Von hier oben sieht man in alle Windrichtungen der Stadt.
So ganz kann ich mein Erstaunen über so viel Reichtum wohl nicht verbergen, denn Yven bietet mir einen Whiskey aus der Bar an. Wahrscheinlich um meinen Puls wieder runterzubringen.
»Was sagen Sie?«
»Ja, es ist … überwältigend«, gebe ich unverhohlen zu.
»Sie kümmern sich also darum?«
Ich nicke und schlucke tapfer den Whiskey runter, der mir im Hals unangenehm brennt.
Jeder Broker würde ihm das Projekt aus der Hand reißen und ich bekomme es. Ich sollte meinen Status in der Firma ändern und auf Anteile pochen. Es wird meinem Chef nicht nur ein hübsches Sümmchen einbringen, sondern auch Prestige.
»Es gehörte meiner Mutter. Sie ist vor einem Jahr gestorben. Da es keiner von uns nutzt, steht es nun zum Verkauf.« Er öffnet die Türen zu einer weitläufigen Terrasse. Eine Weile stehen wir an der Brüstung und sehen auf das glitzernde Lichtermeer der Millionenstadt.
In der Nacht träume ich von der Party. Aus den Aktbildern wachsen Geschlechtsteile, die Männer sind alle nackt und Yven und Lilith treiben es auf dem Sofa vor den Gästen, um das sich keiner zu scheren scheint. Yven sieht nur anders aus, sein Gesicht ist nicht richtig zu erkennen, als läge ein Schleier darauf.
9.
Am nächsten Morgen wache ich enttäuscht auf. Warum ist der schöne Unbekannte nicht in dieser Nacht in meinem Traum erschienen? Ist es wie im Leben? Man gibt sich einem Mann einmal hin und danach verliert er das Interesse an einem und verdünnisiert sich? Den ganzen Sonntag bleibe ich in Jogginghosen, ausgeleiertem Sweatshirt und warmen Socken auf meinem Sofa sitzen, lausche dem Wind, der um das Haus heult, und sich abwechselnd wie ein startender und ausgehender Motor anhört. Dabei sehe ich dem Regen bei seinem unermüdlichen Tanz auf meinen Terrakottafliesen zu und schreibe den letzten erotischen Traum in mein Buch. Irgendwann fallen mir vor Müdigkeit die Augen zu.
Ich stehe an einem Abgrund im Wasser und blicke in die dunkle, endlos erscheinende Tiefe. Mein Haar steht wie Seekraut in alle Richtungen ab und wiegt sich hin und her. Der Stoff meines Kleides umhüllt mich wie Nebel. Alles fühlt sich so herrlich leicht an.
Über mir erhellt die Sonne das türkisblaue und kristallklare Wasser kreisförmig wie einen Heiligenschein. Die Oberfläche scheint zum Greifen nahe, aber es ist nur eine Täuschung der Spiegelung.
Ich lasse mich fallen, sehe mir selbst dabei zu, wie ich schwerelos dem Abgrund entgegen schwebe. Es ist ein Bild voller Ästhetik und Schönheit. In meinem Bauch fühle ich ein Kribbeln, als würde sich meine Seele aus meinem Körper lösen. Der Abgrund kommt näher und es wird immer dunkler, bis ich nicht einmal mehr die eigene Hand vor Augen sehe. Sterben, Tod soll wohl die Message sein.
Durch die Stille des Traumes dringt eine leise Melodie. Der neue dezente Klingelton meines Handys.
Es ist mal wieder Lilith und sie will detailliert wissen, wie es mit Yven gelaufen ist. Wie immer weiß sie genauestens über ihn Bescheid und erzählt mir unaufgefordert alles, was mich überhaupt nicht interessiert. »Er hat auch ein Haus in den Hamptons, hat mir George erzählt. Da sollen im Sommer die heißesten Partys abgehen. Sprich: die Saison beginnt bald.«
»Ah ja?«, sage ich und setze Wasser für einen Tee
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