Lockruf Der Nacht
auf.
»Das ganze Barvermögen, rund dreihundert Millionen Dollar, wurde nach dem Tod der Mutter vor einem Jahr zwischen den drei Kindern aufgeteilt. Sie soll an einer seltsamen Krankheit gestorben sein. Keiner weiß Genaues darüber.«
»Er hat noch Geschwister?«
»Noch zwei Brüder. George leckte sich nur über die Lippen, als er von den anderen beiden erzählte. Sie sind aber nicht schwul.«
Yven sieht nicht schlecht aus, ist aber nicht mein Typ. Rein äußerlich gesehen. Er hat gute Manieren und ein sicheres Auftreten, was mir gefallen hat. Aber ich bin nicht in Stimmung, mich zurzeit auf jemanden näher einzulassen. Joe hat mir erst einmal wieder den Rest gegeben. Dass ich mich aber auch immer an irgendwelche Bad Guys ranhängen muss. Liebenswerte Männer mit guten Manieren sind irgendwie langweilig.
»Jetzt erzähl, was ging ab?«
»Er hat mir sein Apartment für fünfundvierzig Millionen Dollar gezeigt. Ich soll es verkaufen.«
»Mehr nicht?« Lilith klingt enttäuscht.
»Was hast du denn gedacht?«
»Ich hatte den Eindruck er war ganz angetan von dir. Er hatte dich eine ganze Weile beobachtet.«
Prima. Dann hatte er sicherlich auch mein Hinausstolpern auf die Terrasse mitbekommen. Peinlich. »Kein Interesse.«
»Jetzt erzähl mir nicht, dass du noch deinem Traumgespinst nachhängst, Leia.«
»Quatsch.«
»Sei ehrlich.«
»Wirklich nicht. Ich brauche nach Joe erst einmal eine Pause.«
Lilith wird nie müde, sich mit dem anderen Geschlecht zu vergnügen. Und wenn ich darüber nachdenke, habe ich sie noch nie richtig verliebt, geschweige denn leiden gesehen. Ich glaube Liebeskummer ist ein Fremdwort für sie. Sie ist ein Mensch, der sofort nach Rache sinnt, wenn einer ihr komisch kommt.
Ich erinnere mich an den letzten Typ von ihr, der nach zwei Monaten heißester Liebesnächte erzählte, dass er jetzt zu seiner Frau zurück müsste. Ich habe sie das erste Mal geschockt und sprachlos gesehen. Aber nur für einen Moment, dann ließ sie sich etwas besonders Nettes für ihn einfallen.
Ich musste sie im Schwimmbad fotografieren, wie sie auf dem Rücken lag. Alles, was aus dem Wasser ragte, waren ihr Kopf und ihr Bauch, der aussah, als wäre sie im 5. Monat schwanger. Sie schickte ihm das Foto mit dem Kommentar: Glückwunsch, in vier Monaten wirst du Vater . Der Mann drehte vollkommen durch, versuchte sie zu erreichen, aber Lilith ignorierte seine Anrufe. Er flog sogar von Dallas nach New York und stand eines Abends vor ihrer Tür, aber Lilith ließ ihn davor stehen und beobachtete ihn durch den Spion. Schließlich bot er ihr ein hübsches Sümmchen als sogenanntes Schweigegeld an, das sie annahm und mit mir in die Karibik fuhr.
Lilith ist für jeden Mist zu haben, aber ernste tief greifende Gespräche kann ich nicht mit ihr führen. Sie hört mir meistens nur mit einem Ohr zu und gibt Antworten, die zu allem passen, wie: Ach du Arme. Nein, das gibts ja nicht oder das ist ja schrecklich … und jedes Piepen ihres BlackBerrys ist eine willkommene Ablenkung . Ja, das BlackBerry. Ihr ständiger Begleiter, der immer einen Platz am Tisch und neben ihrem Kopfkissen hat. Ihre Entschuldigung, wenn sie sich an ein Thema nur halb erinnert, ist, dass ihr Gedächtnis allmählich nachlässt. Den Spruch muss sie von ihrer Großmutter übernommen haben, mit der sie lange zusammenwohnte, denn mit dreißig leidet man noch nicht an Gedächtnisverlust. Sie kommt nicht darauf, dass sie einfach nur schlecht zuhört.
Den Abend verbringe ich allein, sehe mir noch einen Film an und gehe schließlich um Mitternacht ins Bett. Der Mittagsschlaf hat mich etwas aus meinem Rhythmus gebracht.
Ein Käuzchen ruft von irgendwo hoch oben aus den Bäumen. Es ist dunkel und ich liege versteckt unter einem Vorsprung aus Stein und Erde im Dreck. Männer rufen abwechselnd meinen Namen. Die Rufe kommen aus verschiedenen Richtungen und vor allem immer näher. Ich versuche in der beinahe undurchdringlichen Schwärze der Nacht irgendetwas zu erkennen. Zwischen den Bäumen sehe ich Fackellichter, die sich bewegen.
Ich krabbel aus meinem Versteck hervor und sehe mich um. Vor mir liegt ein breiter Bach, ansonsten sehe ich nur Wald. Dunkle, dicke Stämme ohne Blätter, die so hoch in den Himmel ragen, dass kein Ende abzusehen ist. Ich fange an zu laufen. In irgendeine Richtung, da ich keinen Plan habe, wo ich mich überhaupt befinde.
» Dort ist sie «, schreit jemand, und die Fackeln, die unmittelbar vor mir sind, halten in ihrer
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