Lockruf Der Nacht
schlimm war´s nun auch nicht.«
20.
Während der Rückfahrt rede ich kein Wort mit ihr und sehe stur rechts aus dem Fenster. Ehrlich gesagt bin ich nicht ganz so böse auf sie, wie ich gerade vorgebe. Viel mehr beschäftigt mich der Bruder von Yven. Ich hätte Yven nach dem Namen fragen sollen, aber weil mir die Sache mit dieser Droge und der Eindruck, den ich hinterlassen habe, unsagbar peinlich war, habe ich es vergessen.
»Jetzt sei nicht so grantig. Es tut mir wirklich leid.«
»Nimmst du das Zeug regelmäßig? Was sind das überhaupt für Pillen?«
»Ich schwöre dir, es war nicht meine Absicht, ich muss daneben gegriffen haben. Ich hatte nämlich wirklich auch eine Kopfschmerztablette in meiner Tasche. Die habe ich dir vorhin aufgelöst im Wasser gegeben.«
»Nimmst du das Zeug öfter?«, frage ich noch einmal.
»Ab und zu.«
Ich belasse es dabei, weil ich jetzt auch nicht in der Laune bin, mir die Drogenprobleme meiner Freundin anzuhören. Ich weiß, dass sie bei depressiver Stimmung irgendeine Art von Happy-Pillen schluckt, bei Müdigkeit nimmt sie Aufputscher und bei schlechter Verdauung und einem halben Kilo zu viel greift sie ebenfalls zu speziellen Mittelchen. Jedem das seine und so wie er es braucht. Ich verurteile niemanden dafür, aber ich selbst möchte nichts damit zu tun haben.
Es ist ein herrlicher Sommertag und wir entscheiden uns, auf der Terrasse ein spätes Frühstück einzunehmen.
Lilith nimmt mich plötzlich in den Arm. Sie sieht bedrückt aus. Ich vermute es hat etwas mit Payton zu tun, denn sie hat kein Wort über ihn verloren. »Sorry, Schatz.«
»Schon gut.«
Während sie die Rühreier zubereitet, springe ich unter die Dusche und wasche mir den Sand aus den Haaren. Ich ärgere mich, dass ich diese verdammte Tablette genommen habe. Ich muss mir eine Strategie einfallen lassen, wie ich an den mysteriösen Bruder von Yven herankomme. Nebulös erinnere ich mich an seinen warmen Körper, seine Stimme, die beruhigend auf mich eingeredet hat. Aber da war noch mehr. Mein Gedächtnis oder mein Unterbewusstsein lässt mich im Stich und will mir keinen Hinweis geben.
»Die Eier werden kalt.« Liliths Kopf erscheint in der Tür und mit dem kalten Luftzug wird der Dampf im Badezimmer aufgewirbelt.
»Sag mal, wie heiß duschst du denn? Sieht ja aus wie im Dampfbad.«
»Komme gleich.« Ich ziehe meinen Seidenkimono an und stecke meine nassen Haare nach oben, als ich auf dem beschlagenen Spiegel oben in der Ecke einen Satz stehen sehe. Komm zu mir in die Dunkelheit. Als ich die Tür öffne wird er mit der eindringenden kühlen Luft wieder unsichtbar. Wie lange er da wohl schon steht? Aber viel interessanter ist, wer ihn dort hingeschrieben hat.
Halb verdurstet, wie man sich nach einer durchzechten Nacht fühlt, trinke ich das Glas frisch gepressten Orangensaft in einem Zug aus und stürze mich hungrig wie ein Löwe auf die Eier.
Liliths Stimmung ist immer noch unverändert.
»Na, wo drückt die Laus?«
»Ich bin okay, wenn du es bist.« Sie sieht mir dabei nicht in die Augen.
»Lilith, ich kenn dich lange genug …«
»Na schön. Es war nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe.« Ihr Gesicht ist zu einer Grimasse verzerrt.
»Wie meinst du das?«
»Er war erst so niedlich, sanft und dann …«
»Lilith, was erwartest du, wenn du dich gleich nach zwei Minuten flachlegen lässt?« Ihre Augen blitzen mich an, aber ich lasse mich nicht einschüchtern. »Denkst du, Männer verlieben sich in eine Frau, bei der sie davon ausgehen können, dass sie es mit jedem treibt? Das ist doch eine Masche. Erst sind sie lieb und nett und wenn sie dich im Bett haben, denken sie nur an sich.«
»Oh, jetzt hast du es mir aber gegeben. Tu mal nicht so, als wärst du etwas Besseres.«
»Reden wir von dir oder mir? Lilith, du siehst toll aus und alle sind scharf auf dich, weil du sexy, blond bist und Witz hast. Aber versetz dich mal in einen Männerkopf. Das sind Jäger und wenn man es denen zu einfach macht, verlieren sie schnell das Interesse.«
»Du kannst dir nicht vorstellen, was er für einen Körper hat …«, schwärmt sie und übergeht meinen Kommentar.
Ob sie mir zugehört hat? Wahrscheinlich nicht. »Ich hab´s gesehen.«
»Küssen kann er auch.«
»Aber?«
»Er gehört zu den Typen, die einem nicht in die Augen sehen können und außerdem hatte er so Anwandlungen …«
»Was für Anwandlungen?«
Lilith druckst herum, schiebt das Ei auf dem Teller hin und her. »Er hat mich
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