Lockruf der Toten / Magischer Thriller
Bevor Elena schwanger geworden ist, hat er mich gefragt, ob es eine Möglichkeit gäbe, an seine medizinische Vorgeschichte heranzukommen.«
»Um rauszufinden, ob es da Erbkrankheiten gibt? Irgendwas, bei dem die Gefahr besteht, dass er es an seine Kinder hätte weitergeben können?«
»Ja. Ich habe die Familie gefunden – es war nicht weiter schwer. Als er damals verschwunden ist, wurde ein paar Mal in den Medien darüber berichtet. Ich war immer davon ausgegangen, dass es so gewesen sein musste, aber ich hatte es nie recherchiert.« Er verstummte ein paar Sekunden lang, als gäbe die Tatsache ihm zu denken. »Paige hat mir geholfen, an die medizinischen Daten heranzukommen. Sie hat nie gefragt, warum wir sie brauchten, aber wahrscheinlich hat sie es sich denken können. Ich habe nichts Bemerkenswertes gefunden.«
»Und Clay – hat er nachgefragt? Nach seiner Familie?«
Jeremy schüttelte den Kopf. »Er wollte nichts als die medizinische Information. Ich hatte immer das Gefühl, dass seine frühe Kindheit nicht … einfach gewesen war. Dass das Weglaufen, so jung er damals auch war, ihm im Grunde …« Er suchte nach dem passenden Wort.
»Nicht allzu viel ausgemacht hat.«
»Ich glaube nicht, dass es eine wirklich unerträgliche Situation war. Unerfreulich, aber nicht die Sorte Familienleben, die einen typischen Sechsjährigen veranlassen könnte, zu verschwinden und niemals zurückzukommen.« Ein winziges Lächeln. »Wobei Clay wahrscheinlich nie das typischste aller Kinder war – nicht mal, bevor er gebissen wurde.«
»Er ist glücklicher als Werwolf und sieht keinen Anlass zum Bedauern. Wenn er nicht gebissen worden wäre – vielleicht wäre er dann selbst geworden wie eins von diesen Kindern. Ein Ausreißer.«
Ich hing dem Gedanken nach, während ich das Kitzeln der Finger spürte, auf das Gewisper der Kinder lauschte. Wie alt waren sie? Es war unmöglich zu sagen. Nach den Berührungen und Püffen zu urteilen, mussten ein paar von ihnen noch sehr jung sein. Die flüsternden Stimmen dagegen hörten sich eher nach Kindern kurz vor dem Teenageralter an. Was bedeutete, dass sie eigentlich in der Lage sein sollten, meine Anweisungen zu befolgen, was wiederum nahelegte, dass sie mich nicht klarer hören konnten als ich sie.
Die Älteren von ihnen waren vielleicht wirklich Ausreißer. Die Jüngeren? Verschwundene Kinder, wie Clay eins gewesen war.
Ich dachte an Clay, an das Leben, aus dem er verschwunden war, das Leben, das er stattdessen gefunden hatte. Ich fragte mich, ob auch nur eins dieser Kinder wirklich von zu Hause weggelaufen war. Auf und davon, raus aus der Wohnung und der Familie, vielleicht nur auf ein, zwei Tage, eine Abkühlphase nach einem Streit. Und dann … fort. Ermordet. Geopfert.
Wie erklärten sie selbst sich ihre Situation? Hatten sie Angst? Litten sie? Reichte ihr Bewusstsein überhaupt dazu aus, Angst zu haben? Oder zu leiden? Waren sie zusammen? Oder voneinander isoliert, außerstande, Kontakt zueinander aufzunehmen, allein? Es gab keine Möglichkeit, es herauszufinden. Nicht bevor ich sie freigeben konnte.
»Hast du schon von Elena und Clay gehört?«, fragte ich schließlich.
»Ich habe heute nach dem Aufwachen angerufen, aber es ist keiner drangegangen. Wahrscheinlich waren sie mit den Kindern irgendwo draußen. Ich habe ihnen eine Nachricht hinterlassen.«
Ich nickte.
»Sir?«, rief eine Stimme. »Ms. Vegas?«
Ich winkte den Wachmann näher.
»Ihr Handy hat geklingelt«, sagte er zu Jeremy. »Sie haben es in der Jackentasche im Haus gelassen. Und jemand hat gesagt, das Gerät von Ms. Vegas klingelt auch, in ihrem Zimmer.«
Wir sammelten unsere Besitztümer ein und gingen zurück zum Haus.
Es war Elena, die mit dem Ergebnis ihrer Recherchen zum Thema Volksmagie angerufen hatte.
»Und inwiefern hilft uns das weiter?«, fragte ich, als Jeremy mit seinen Erklärungen zum Ende gekommen war.
»Ich weiß nicht, ob es das überhaupt tut. Nicht zum aktuellen Zeitpunkt.«
»Was ist mit diesen Körperteilen in Botnicks Lagerraum? So was wird bei dieser Art Zauberei doch verwendet. Wenn wir seinen Lieferanten kennen würden – vielleicht wäre … Nein, ich nehme an, wenn er eine direkte Verbindung zu dieser Gruppe gehabt hätte, dann hätte er nicht versuchen müssen, sie zu finden.«
»Aber es wirft immerhin ein gewisses Licht auf das, wonach wir suchen. Genau wie Botnick ist diese Gruppe wahrscheinlich eklektisch in ihren Mitteln und
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