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Lockruf der Vergangenheit

Lockruf der Vergangenheit

Titel: Lockruf der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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mein Leben lang trauerte. Es war fruchtlos und dem Leben hinderlich, bei jenen Dingen zu verweilen, die sich nicht mehr ändern ließen.
    Ich trocknete die letzten Tränen, zog mir ein anderes Kleid an, ordnete mein Haar und war gerade dabei, meine geschwollenen Augen mit feuchten Tüchern zu kühlen, als es an meiner Tür zaghaft klopfte. Ich hielt inne und lauschte. Da klopfte es wieder. Als ich zur Tür ging und öffnete, sah ich Martha vor mir stehen. »Darf ich hereinkommen?« fragte sie. »Natürlich. Bitte. Ich wollte gerade hinuntergehen.«
    »Wir haben uns Sorgen gemacht, Leyla. Theo erzählte uns, was heute morgen vorgefallen ist. Es tut mir so leid. Es tut uns allen leid.« Sie trat ins Zimmer und schloß die Tür hinter sich. »Wenn wir dir gestern abend kühl und reserviert erschienen, dann weißt du jetzt, warum wir uns so verhalten haben. Keiner wollte versehentlich etwas Falsches sagen. Niemand wußte, was deine Mutter dir über deinen Vater und deinen Bruder erzählt hatte. Und es hat sich gezeigt, daß wir richtig gehandelt haben.«
    »Das sagte Theo auch.«
    Ich setzte mich an den Toilettentisch und drückte mir wieder ein feuchtes Tuch unter die Augen. Im Spiegel sah ich Martha langsam im Zimmer umhergehen. Erst betrachtete sie das Bild meiner Mutter, dann las sie das Etikett auf dem Parfumfläschchen, blieb am Nachttisch stehen und nahm eines nach dem anderen die Bücher zur Hand, die dort lagen. Ich hatte den Eindruck, daß sie angestrengt überlegte, was sie als nächstes sagen sollte.
    »Onkel Henry hat mir erzählt, daß du verlobt bist.«
    »Ja.« Ich lächelte in den Spiegel. »Und du willst bald heiraten?«
    »Im Frühjahr. Aber vorher stelle ich euch Edward bestimmt vor. Er wird euch gefallen. Er ist ein sehr gutaussehender und eleganter Mann.«
    »Er ist Architekt, nicht?«
    »Ja, einer der besten in London.«
    »Du bist zu beneiden, Leyla.«
    Ich warf wieder einen Blick in den Spiegel und sah, daß Martha mich beobachtete. Wieder war diese Traurigkeit in ihren Augen, dieses tiefe Mitleid, das ich bei ihr auszulösen schien. Aber nun war es nicht mehr angebracht; nun wußte ich ja die Wahrheit über den Tod meines Vaters, und wenn man die Wahrheit einmal akzeptiert hat, ist sie leicht zu tragen.
    »Ist etwas, Martha?«
    »Nein, nein«, antwortete sie hastig. »Gar nichts. Ich wollte dir eigentlich nur sagen, daß wir schon zu Abend gegessen haben. Aber Gertrude hat dir etwas aufgehoben. Sie meinte, du würdest hungrig sein.«
    »Da hatte sie recht. Wie nett von ihr.«
    Ich legte das feuchte Tuch aus der Hand und stand auf. Ein letzter Blick in den Spiegel zeigte mir, daß ich wieder präsentabel aussah. Abgesehen von der Veränderung, die in meinem Inneren vorgegangen war, war ich noch immer dieselbe Leyla Pemberton, die am Abend zuvor hier angekommen war. Aber jetzt würde alles ganz anders werden. Meine Familie brauchte nicht mehr jedes Wort, das sie mit mir sprach, vorsichtig abzuwägen, brauchte nicht mehr darauf zu achten, daß bestimmte Themen gemieden wurden. Nun konnten wir alle ganz offen miteinander sein. Als wir aus meinem Zimmer traten, stießen wir beinahe mit Henry zusammen.
    »Entschuldige«, sagte er. »Ich wollte mich nach deinem Befinden erkundigen. Ich wollte dich nicht erschrecken.«
    »Ach, das hast du auch nicht«, behauptete ich, obwohl ich tatsächlich einen Schrecken bekommen hatte, als er plötzlich aus dem Schatten getreten war.
    »Geht es dir wieder gut, Leyla?« fragte er besorgt. »Theo sagte uns – «
    »Oh, ja, es ist alles gut.« Ich zog die Tür hinter mir zu und drehte mich mit einem beruhigenden Lächeln nach ihm um. Aber als mein Blick auf sein Gesicht fiel, überfiel mich sogleich wieder jenes eigenartige Gefühl, genau wie am Abend zuvor. »Ist dir nicht gut?«
    »Doch, doch, ich…« Ich drückte die Hand auf die Stirn, als könnte ich das ungute Gefühl vertreiben. Aber als ich ihn wieder ansah, flog es mich erneut an, stärker als zuvor – eine Ahnung rettungslosen Verlorenseins. Was hatte Henry an sich, daß er ein derartiges Gefühl in mir hervorrief? Regten sich da vielleicht verschüttete Erinnerungen? Es konnte nur so sein, daß ich in ihm meinen unglücklichen Vater sah. Aber nein – ich hatte dieses schreckliche Gefühl ja schon am vergangenen Abend gespürt, als ich die Wahrheit über den Tod meines Vaters noch gar nicht erfahren hatte! »Vielleicht solltest du lieber hier oben bleiben.«
    »Nein, Onkel Henry, wirklich – «
    »Sie

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