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Lockruf der Vergangenheit

Lockruf der Vergangenheit

Titel: Lockruf der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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Leyla. Da ist es gefährlich. Die Ruinen sind baufällig. Ich muß dir verbieten, dorthin zu gehen.«
    Ich starrte ihn verblüfft an, und er senkte die Lider. Theo war es vielleicht gewöhnt, Befehle zu geben, aber ich hatte nicht die Absicht, mich von ihm herumkommandieren zu lassen. Mir lag schon eine entsprechende Erwiderung auf der Zunge, aber dann fiel mir ein, daß ich hier immer noch Gast war, eine Fremde in diesem Haus, und daß es unklug wäre, mir die Feindschaft dieses Mannes zuzuziehen.
    Colin schien enttäuscht zu sein. »Tja, schöne Cousine, mir scheint, Theos Wort ist dir Gesetz. Nun, das kannst du halten wie du willst. Ich wünsche euch beiden einen angenehmen Rundgang.« Dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging hinaus.
    Theo setzte sich wieder. »Du wirst dich schon noch an Colin gewöhnen«, sagte er entschuldigend. »Manchmal könnte man meinen, er wäre bei den Wilden aufgewachsen und nicht auf Pemberton Hurst.« Ich blickte zur Tür. »Wie ist sein Vater eigentlich gestorben?«
    »Onkel Richard? Durch einen Unfall mit dem Wagen. Das Pferd scheute, glaube ich.«
    »Du weißt es gar nicht genau? Warst du denn nicht hier?«
    »Nein, meine Eltern und ich waren damals nicht hier. Es war vor ungefähr zwölf Jahren. Colin war damals dreiundzwanzig. Es war schrecklich für ihn. Er war monatelang nicht ansprechbar. Jedenfalls erzählte man uns das, als wir zurückkamen.«
    »Und seine Mutter?«
    Theo rührte geistesabwesend in seinem Tee. »Sie kam auch bei dem Unfall ums Leben. Sie saßen beide im Wagen.«
    »O Gott…« Ich sah ihn an. »Und wo ist das passiert?«
    »Gleich hier unten an der Straße.«
    »Hier? In Pemberton Hurst? Das kann doch nicht wahr sein!«
    »Wieso nicht?«
    »Aber sein Vater – und mein Vater… Das ist ja unglaublich.« Zum erstenmal hatte ich das Gefühl, mit einem der Pembertons etwas gemeinsam zu haben.
    »Wir sind eine große Familie, Leyla, und Unfälle gibt es immer wieder«, sagte er, als wäre damit alles erklärt.
    Ich schaute ihn unverwandt an, aber er wich meinem Blick aus. »Und wo wart ihr, als es passierte?« fragte ich.
    »Ich war damals mit meinen Eltern in Manchester. Wir lebten dort. Mein Vater leitete die Spinnerei.«
    »Dann hast du also nicht ständig in Pemberton Hurst gewohnt?«
    »Nein.«
    Seine Antworten wurden immer knapper. Ich weiß nicht, warum ich fragte; die Frage kam mir plötzlich in den Kopf, und ich stellte sie. »Und wann bist du mit deinen Eltern von hier fortgegangen?« Er zögerte, als müsse er seine Worte erst überlegen. »Laß mich nachdenken«, sagte er langsam. »Die Spinnerei wurde 1838 eröffnet. Vater mußte vorausfahren, um Personal einzustellen. Es ist lange her, aber ich glaube, daß wir im selben Jahr von hier fortgegangen sind wie du und deine Mutter. Ein merkwürdiger Zufall eigentlich.«
    »Im selben Jahr?«
    »Hm.« Er drehte sich demonstrativ um und sah auf die Uhr über dem Kamin. »Es kann kaum mehr als einen Monat später gewesen sein.« Ich blickte Theo stumm an.
    »Ah«, sagte er mit gespielter Lebhaftigkeit, »du bist mit deinem Tee fertig. Nimm dir einen warmen Umhang mit. Der Wind ist kalt.« Wir standen gleichzeitig auf. Eine ganz neue Frage schoß mir plötzlich durch den Kopf, ausgelöst wohl durch unser Gespräch. »Theo«, sagte ich, »ist eigentlich bei der Cholera-Epidemie damals sonst noch jemand von der Familie gestorben?«
    »Bei welcher Cholera-Epidemie?«
    »Bei der mein Vater und mein Bruder gestorben sind.« Theo wurde fahl im Gesicht. »Was soll das heißen, Leyla? Dein Vater und dein Bruder sind nicht an der Cholera gestorben.«

 
    4
     
     
     
    Ich erstarrte, unfähig, ein Wort hervorzubringen; dennoch beobachtete ich Theos Reaktion auf seine Worte und sah, daß er sich ärgerte. So beiläufig ich meine Frage gestellt hatte, so beiläufig hatte Theo geantwortet, und nun hätte er sich wahrscheinlich am liebsten die Zunge abgebissen. Aber es war zu spät.
    Nun wußte ich, daß es in Pemberton Hurst tatsächlich ein Geheimnis gab, das mir vorenthalten werden sollte. Und gleichzeitig wurde mir klar, daß meine Mutter mich nicht nur durch ihr Schweigen, sondern durch eine bewußte Lüge in Unwissenheit gehalten hatte. Ich setzte mich wieder. Theo blieb noch einen Moment unschlüssig stehen, dann nahm auch er wieder Platz.
    »Wie sind sie wirklich ums Leben gekommen, Theo?« fragte ich. »Leyla, was hilft es dir, wenn du es erfährst? Ich bin überzeugt, deine Mutter hat dir mit gutem Grund

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