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Lockruf der Vergangenheit

Lockruf der Vergangenheit

Titel: Lockruf der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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Moment, als unsere Blicke sich trafen, hatte ich die Hoffnung, daß wir vielleicht doch Freunde werden könnten.
    Martha und ich kehrten gemeinsam zu unseren Zimmern zurück, ich voll innerer Erregung, sie nervös und unablässig mit den Schnüren ihres Pompadours beschäftigt. Es wunderte mich nicht, daß sie stehenblieb, als wir mein Zimmer erreichten. Ich hatte gespürt, daß sie etwas auf dem Herzen hatte.
    »Leyla, Großmutter glaubt wirklich, daß du den Ring aus Theos Zimmer gestohlen hast. Ich habe sie nie so zornig erlebt.«
    »Sie ist alt und eigensinnig, Martha. Was sollte ich mit dem Ring wollen?«
    »Nun ja, du bist doch…« Sie hielt die Lider gesenkt. »Großmutter sagt, du seist völlig mittellos. Sie sagt, daß du nur des Geldes wegen nach Pemberton Hurst gekommen seist. Und als dir niemand freiwillig welches anbot, hättest du dich aufs Stehlen verlegt.«
    »Das ist Unsinn, Martha«, entgegnete ich trocken. »Der Mann, den ich heiraten werde, lebt in guten Verhältnissen. Dann brauche ich das Familienvermögen nicht. Ihr könnt eure Baumwollspinnereien und Ländereien und kleinlichen Zänkereien gern behalten. Ich möchte von hier nur eines, und das ist meine Vergangenheit. Wenn ich sie wiedergefunden habe, gehe ich von hier fort und komme nie zurück.« Erst jetzt sah sie zu mir auf. Obwohl sie zweiunddreißig Jahre alt war, war ihr Gesicht zart und jung. Äußerlich ähnelten wir einander, aber vom Naturell her waren wir sehr unterschiedlich. Martha war eine stille, äußerst zurückhaltende Frau. »Ich beneide dich«, sagte sie leise. »Du beneidest mich? Worum denn?«
    »Du kannst von hier fortgehen und heiraten und Kinder bekommen.«
    »Das kannst du doch auch, Martha.«
    Sie schüttelte den Kopf, daß die Korkenzieherlöckchen, die ihr Gesicht umrahmten, tanzten. »Jeder, der von hier weggeht, wird von Großmutter enterbt. Sie hat uns verboten, jemals zu heiraten, und wird uns keinen Penny vermachen, wenn wir ihr zuwiderhandeln sollten. Auf dich wartet Edward, und du sagst, daß er wohlhabend ist. Ich wüßte nicht, wohin ich mich wenden sollte, wenn ich hier fortginge. Ich bin gefangen hier. Wir alle sind hier gefangen.«
    Ihr Ton war ganz sachlich, aber in ihren Augen war eine verzweifelte Sehnsucht.
    »Im Grunde macht es mir nichts aus«, fügte sie hinzu. »Aber manchmal frage ich mich, wie es ist, wenn man – mit einem Mann zusammen ist.« Sie wurde rot. »Entschuldige. Ich weiß, so etwas sagt man nicht.«
    »Ach, Unsinn. Jede Frau wünscht sich die große Liebe. Jede Frau möchte den richtigen Mann heiraten und mit ihm zusammen Kinder haben. Du bist nicht anders als alle Frauen.«
    »Doch, ich bin anders. Ich muß es sein, weil ich eine Pemberton bin. Es wäre eine Sünde, wenn ich mich entschlösse, Kinder zur Welt zu bringen, denen eines Tages das gleiche Schicksal droht, was mich und dich erwartet. Großmutter hat recht; die Familie muß aussterben.« Martha liefen die Tränen über das Gesicht, und ich hätte am liebsten mit ihr geweint. »Und trotzdem – weißt du, manchmal sehe ich in East Wimsley einen hübschen Mann, und dann stelle ich mir vor…«
    »Natürlich, Martha. Das kann ich verstehen.«
    »Ich weiß ja nicht einmal, wie es ist, wenn man von einem Mann einen Kuß bekommt.«
    Ich dachte an Edward und die kühlen Küsse, die er mir auf die Wange zu geben pflegte.
    Martha wischte sich mit der Hand die Augen. »Du hast den Ring wahrscheinlich wirklich nicht genommen«, sagte sie schniefend, »aber davon mußt du Großmutter erst einmal überzeugen.«
    Ich wurde wieder ärgerlich. »Mein Wort sollte eigentlich genügen. Bitte, entschuldige mich jetzt, Martha.«
    Zornig und traurig zugleich zog ich mich in mein Zimmer zurück. Die Anschuldigung vor allen anderen, ohne daß mir außer Theo jemand zu Hilfe gekommen wäre, war demütigend und empörend gewesen. Nun aber fragte ich mich, was es mit diesem Ring eigentlich auf sich hatte. War es Zufall gewesen, daß er verschwunden war, unmittelbar nachdem ich mich draußen im Wäldchen, wenn auch nur flüchtig, seiner erinnert hatte? Spielte er vielleicht an jenem Tag eine viel wichtigere Rolle, als mir bewußt war? Aber, warum hatte man den Ring gestohlen? Ich spürte, daß zwischen Theos Ring und den Geschehnissen im Wäldchen vor zwanzig Jahren ein direkter Zusammenhang bestand, und daß sein plötzliches Verschwinden kein Zufall sein konnte. Wenn jemand fürchtete, ich würde den Ring mit der Ermordung meines Vaters in

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