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Lockruf der Vergangenheit

Lockruf der Vergangenheit

Titel: Lockruf der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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als seuchenartiges Fiber bezeichnet…‹ Was war es nur, das mich nicht losließ? Irgend etwas an dem Buch war mir als sonderbar aufgefallen, und ich hatte es nur in einem Traum erkannt.
    Dr. Youngs Worte fielen mir ein. »Bei Thomas Willis erinnere ich mich an endlos lange Sätze, verblüffende anatomische Diagramme und eine eigenwillige Orthographie.«
    Ich blätterte um zur entscheidenden Seite. ›Als dieses Fieber das erstemal auftrat…‹ Ich las die ganze Seite bis zum Ende, kehrte zum Beginn zurück und begann noch einmal zu lesen. Und da sah ich es plötzlich. Gleich im ersten Satz. Das Wort Fieber war hier anders geschrieben als auf den Seiten vorher. Ich las noch einmal den ganzen Text und stellte fest, daß in der ganzen Passage über die sogenannte Pember Town Krankheit das Wort Fieber ohne ie geschrieben war.
    Darum war es in meinem Traum gegangen. Jetzt erinnerte ich mich. Im Traum war mir diese Unregelmäßigkeit aufgefallen und hatte mich stutzig gemacht.
    Während ich jetzt allerdings auf die anders geschriebenen Wörter starrte und an den Traum dachte, verstand ich nicht, weshalb mich das so bewegt hatte.
    Ich legte das Buch wieder auf meinen Nachttisch und blies die Lampe aus. Während ich mit offenen Augen dalag und dem Regen lauschte, der an die Fensterscheiben trommelte, überlegte ich mir, daß ich trotz allem das Buch morgen einmal Dr. Young zeigen wollte.
    Damen der guten Gesellschaft, so wollte es die Sitte, hatten Begräbnissen nicht beizuwohnen; doch moderne Frauen, die selbstbewußter waren, sorgten dafür, daß sich das langsam änderte. Zu meiner Überraschung erwies sich auch Anna als eine solche Frau. Ich glaubte allerdings, daß sie weniger aus gesellschaftlicher Rebellion handelte, als vielmehr aus einem tiefen Bedürfnis heraus, ihrem verstorbenen Mann bis zum letzten Moment nahe zu sein. Sie jedenfalls nahm an Henrys Beerdigung teil, während Martha und ich zu Hause blieben; Martha vor allem, weil sie das feuchte Wetter scheute, ich, weil ich es sehr ungehörig gefunden hätte, zu gehen. Selbst dem Begräbnis meiner Mutter hatte ich nicht beigewohnt, sondern hatte in der Stille meines Zimmers um sie getrauert. Anna fuhr also mit ihrem Sohn und Colin im Vierspänner zur Stadt, während Martha und ich zurück blieben.
    Nach dem Frühstück verspürte ich leichte Kopfschmerzen, denen ich aber gleich mit einer Dosis Laudanum beikam. Danach versuchte ich eine Weile zu lesen, doch ich konnte mich nicht auf die fremden Schicksale konzentrieren, und auch am Klavier hielt es mich nicht lange. Immer noch beschäftigte mich Thomas Willis’ Buch. Es ließ mich nicht los, obwohl ich mir sagte, daß das, was ich entdeckt hatte, völlig belanglos war. Die Gedanken an das Buch verfolgten mich, während ich in meinem Zimmer ein leichtes Mittagessen einnahm, sie lenkten mich beim Lesen ab, sie beschäftigten mich, während ich am Klavier saß und nach Noten suchte.
    Um ein Uhr waren die drei immer noch nicht von der Beerdigung zurück. Ich beschloß, meinen gewohnten Spaziergang zu machen. Aber diesmal sollte er mich direkt zum Eichenhof führen, wo Dr. Young wohnte. Mit Thomas Willis’ gelehrtem Werk fest unter dem Arm marschierte ich los.
     
     
    Der Eichenhof, den sein früherer Eigentümer vor sechs Jahren verkauft hatte, nachdem er Frau und Kinder bei einer Scharlachepidemie verloren hatte, war nicht schwer zu finden. Nach zweistündigem Marsch durch Wiesen und Felder war man dort. Ich hätte gern den Einspänner genommen, aber das hätte vielleicht zu Fragen Anlaß gegeben, und aus einem mir selbst unerklärlichen Grund hielt ich es für besser, mein Unternehmen geheimzuhalten. Es war mir ein wenig unbehaglich angesichts der Tatsache, daß ich als junge Dame aus gutem Haus ohne Begleitung einen alleinstehenden Herrn aufsuchen wollte. Aber, tröstete ich mich, der Mann war schließlich Arzt, genoß großes Ansehen, war viele Jahre älter als ich und hatte gewiß eine Haushälterin.
    Grauer Rauch stieg aus dem Kamin zum bewölkten Himmel auf, ein Zeichen, daß der Doktor vermutlich anwesend war. Als ich näherkam, sah ich, daß in den vorderen Fenstern des Bauernhauses Licht brannte, ebenfalls ein gutes Zeichen. Aber nun wurde mir doch etwas beklommen zumute, und die Füße wurden mir recht schwer, als ich den aufgeweichten Weg entlangging. Ich mußte meine ganze Entschlossenheit zusammennehmen, um nicht umzukehren. Erstens, sagte ich mir, brauchte ich Laudanum – die Kopfschmerzen

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