Lockruf des Blutes
abzuprallen. Sein Gesichtsausdruck, höfliche Besorgnis, ändert sich kein bisschen, weder Wut noch Gereiztheit blitzen in seinen Augen auf. Auch Sorrels Wirkung? Oder etwas anderes? Was ist hier los?
Williams lehnt sich auf dem Stuhl zurück, sieht mir tief in die Augen und behält seine Gedanken für sich. Ich lasse mir das einen Moment lang gefallen, dann wiederhole ich: »Was ist hier los? Warum hast du mich hierhergeschleppt?«
Er sieht mir noch ein wenig tiefer in die Augen, dann wird sein Blick wieder klar und scharf. »Trishs Großmutter setzt Himmel und Hölle in Bewegung. Sie hat noch für heute Nachmittag einen Termin bei mir verlangt. Das FBI hat sie außerdem kontaktiert. Sie weiß, dass es irgendeine Verbindung zwischen Trish und Barbara Franco gab. Nach dem Mord an Carolyn ist sie nun davon überzeugt …« Er schnaubt vor Zorn. »Dass Trish in beide Morde verwickelt ist.«
Diese Worte sollten bei mir einen weiteren Wutanfall auslösen. Stattdessen empfinde ich nur unendliche Traurigkeit. »Wie die Mutter, so die Tochter«, flüstere ich.
Williams zieht eine Augenbraue hoch. »Wie bitte?«
»Als ich Carolyn zum ersten Mal gesehen habe, an dem Abend, als sie zu meinen Eltern nach Hause kam, da hat sie versucht, uns einzureden, dass Trish etwas mit dem Mord an Barbara zu tun gehabt haben könnte. Jetzt gibt Carolyns Mutter denselben Müll von sich.«
Er wirft mir wieder diesen »Das hättest du mir früher sagen sollen«-Blick zu. Laut sagt er: »Bedauerlicherweise ergibt solcher ›Müll‹ großartige Schlagzeilen. Sie hat für heute Nachmittag eine Pressekonferenz angesetzt.« Er sieht auf die Uhr. »Um drei, direkt im Anschluss an unsere Besprechung, und zwar auf den Stufen vor dem Bürgermeisteramt.«
»Die Bürgermeisterin hat sich der Sache angenommen?«
»Noch nicht. Aber dieses Jahr steht die Wahl an. Die Bernards wohnen zwar nicht in San Diego, aber sie sind wohlhabende und einflussreiche Leute. Die Bürgermeisterin wird sich mit ihnen verbünden, wenn es ihr nützlich erscheint.«
»Und woher weißt du das?« Doch die Antwort blitzt in meinem Kopf auf, ehe er etwas sagen kann. »Das hatte ich ganz vergessen. Die stellvertretende Bürgermeisterin. Eine Vampir-Kollegin. Toll.«
»Erinnerst du dich an sie, von dem Abend bei Avery?«
Seine Frage klingt zögerlich. Der Abend, an dem ich Williams zum ersten Mal gesehen habe, war der Abend, an dem ich in mein Leben als Vampir eingeführt wurde. Mein Mentor Avery hatte mich zu einer Party in seine Villa eingeladen. Williams war da, und Isabel Santos, die stellvertretende Bürgermeisterin von San Diego, außerdem vier oder fünf weitere illustre Persönlichkeiten – alle Vampire, alle hoch in Amt und Würden. Ich wurde keinem von ihnen formell vorgestellt, aber durch die besonderen Umstände wurden Williams und ich bald darauf wieder zusammengeführt.
Ich spüre, wie Williams’ scharfe Augen mich beobachten und sein Geist in mir nach den Emotionen bohrt, die diese Erinnerungen wecken. Es gibt Wichtigeres zu besprechen. Ich hebe den Blick und sehe ihm in die Augen.
Warum sollte sie das tun? , frage ich. Warum sollte sie ihre Enkelin beschuldigen, einen Mord begangen zu haben?
Seine Mundwinkel ziehen sich herab. Ich weiß es nicht. Ich habe vor, ihr dieselbe Frage zu stellen, wenn ich sie heute Nachmittag sehe.
Ich will dabei sein.
Das entlockt ihm ein bellendes Lachen. Aber sicher. Damit sie dir noch eine verpassen kann.
Offenbar hat Detective Harris einen gründlichen, umfangreichen Bericht abgeliefert, und Williams’ Reaktion sagt mir, dass er gern dabei gewesen wäre, als ich geohrfeigt wurde. Ich umklammere die Kanten des Stuhls und beuge mich vor. Es ist verdammt unwahrscheinlich, dass sie noch einmal Gelegenheit dazu bekommt.
Williams hebt die Hand. He, ich wollte dich damit nicht kritisieren. Ich finde, du hast bemerkenswerte Selbstbeherrschung an den Tag gelegt.
Was schlägst du also vor, wie es weitergehen soll? Wie schützen wir Trish?
Da gibt es nur eine Möglichkeit , entgegnet er. Wir finden den wahren Mörder und stellen Carolyn bloß.
Das wird Mrs. Bernard aber gar nicht glücklich machen. Und die Bürgermeisterin auch nicht.
Williams lächelt. Nicht mein Problem. Ich stehe ja dieses Jahr nicht zur Wiederwahl. Dann setzt er dasselbe Polizistengesicht auf, das ich immer bei Max sehe, wenn er mir etwas sagen muss, das ich nicht gern hören werde. Du musst auf das vorbereitet sein, was nach der Pressekonferenz
Weitere Kostenlose Bücher