Lockruf Des Mondes
»Ja.«
»Warum? Weil er jemand anderen heiraten wollte? Oder stört es ihn, dass ich Engländerin bin?«
»Es ist sehr ungewöhnlich für einen Highlander, außerhalb der Clans zu heiraten«, erwiderte Cait diplomatisch.
In Wahrheit war sie jedoch noch immer schockiert darüber, dass ihr Bruder der Forderung des Königs stattgegeben hatte, eine Engländerin zu heiraten. Talorc hatte mehr Anlass als die meisten, sowohl den Engländern als auch den Menschen zu misstrauen. Und da Emily beides war, machte Cait sich große Sorgen, ob diese Verbindung nicht von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.
Sie versuchte jedoch, das Positive daran zu sehen und zu glauben, dass ihr Bruder seine Vorurteile überwinden würde. Er wollte einfach nicht begreifen, dass nicht alle Menschen unglaubwürdig waren, nur weil manche zu Verrat imstande waren. Auch einige der Chrechten waren das; es war nicht nur eine menschliche Schwäche. Für Talorc machte das jedoch keinen Unterschied; er zog es vor, alle rein menschlichen Wesen für schwach und prinzipienlos zu halten.
Ebenso wenig konnte man alle Engländer in einen Topf werfen; sie konnten ja schließlich nicht samt und sonders gottlose Usurpatoren sein? Die reizende Frau neben ihr hatte jedenfalls nicht den Geruch von Verrat oder Gier an sich, so wie es bei Caits Stiefmutter der Fall gewesen war.
»Du meinst also, dass die Leute hier, dein Bruder eingeschlossen, genauso entsetzt darüber sind, dass ich Engländerin bin, wie es meine Eltern waren, als sie eine ihrer Töchter fortschicken mussten, um einen Schotten zu heiraten?«
»›Entsetzt‹ ist noch ein mildes Wort für Talorcs Reaktion, als er die Nachricht von Schottlands König erhielt.«
»Ich verstehe.«
»Nimm es nicht persönlich«, riet ihr Cait.
»Wie könnte ich? Der Mann hat ja nicht einmal ein Wort mit mir gesprochen.«
Cait entspannte sich, Erleichterung erfasste sie. »Schön, dass du so vernünftig bist.« Sie seufzte wieder. »Leider kann ich das von meinem Bruder nicht sagen.«
»Hat er euren König verärgert, um so gestraft zu werden?«
»Aber nein«, rief Cait verblüfft. Auf was für Ideen kamen diese Engländer? »König David schätzt meinen Bruder sehr, doch er wird von den Normannen Englands beeinflusst und hat viele ihrer Gebräuche angenommen. Er will Talorc nicht ohne Grund mit einer Engländerin verheiraten. Er hofft, dass du ihn zähmen wirst.«
Diesmal machte Emily große Augen und sah aus, als hätte sie gerade einen ganzen Fisch verschluckt. »Hat dein Bruder das gesagt?«, fragte sie scharf. »Ich hätte nicht gedacht, dass so ein grimmiger Krieger seiner jüngeren Schwester etwas so Privates anvertrauen würde.«
Darauf lachte Cait. »O nein, das weiß ich nur, weil ich die Gespräche der Soldaten belauscht habe.«
Emily schmunzelte und lachte, als Cait vor Verlegenheit errötete.
»Ich weiß, dass es eine beschämende Angewohnheit ist, aber ...«
»Wie würdest du sonst etwas in Erfahrung bringen?«, schloss Emily für sie.
Mit dem Gefühl, eine Schwester und Seelenverwandte gefunden zu haben, fragte Cait: »Du findest das also nicht sehr unartig von mir?«
»Ich habe auch schon so manches wichtige Gespräch in der Burg meines Vaters belauscht«, erwiderte Emily schulterzuckend. »Männer lassen Frauen über vieles im Dunkeln, obwohl sie das besser nicht tun sollten ... und Eltern sind nicht immer so ehrlich zu ihren Kindern, wie man es sich wünschen würde.«
»Da kann ich dir nur zustimmen. Mein Bruder ist viele Jahre wie ein Vater zu mir gewesen. Er hat mir nicht einmal gesagt, dass er meine Heirat arrangiert hatte, bis ich in den großen Saal gerufen wurde, um meine Ehegelübde abzulegen.«
»War deine Ehe glücklich?«
Cait wünschte, sie könnte das bejahen, weil es so offensichtlich war, dass ihre neue Freundin Trost suchte, doch sie konnte sich nicht dazu überwinden, Emily zu belügen. Nicht einmal, um sie zu beruhigen. »Er war eine gute Partie, um die Macht meines Bruders innerhalb des Clans zu festigen, aber Fergus und ich hatten kaum etwas gemeinsam.«
»Trotzdem muss es jetzt, da du von ihm schwanger bist, schwer für dich sein, dass er nicht mehr ist.« Dann schlug Emily entsetzt die Hand vor ihren Mund. »Es tut mir so leid, Cait! Ich weiß, dass ich nicht darüber sprechen sollte.«
»Ist es eine englische Angewohnheit, Unwissenheit vorzutäuschen, wenn eine Frau ein Kind erwartet?«, entgegnete Cait, die sich bemühte, nicht über die Vorstellung zu
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