Lockruf des Verlangens (German Edition)

ausheckten.
    »Weder Anthony noch ich sind für diesen Angriff verantwortlich«, sagte Nikita. »Ob Sie uns glauben, bleibt Ihnen überlassen, aber es wäre vollkommen unvernünftig von uns, diese Region momentan zu schwächen.«
    Was man auch so auslegen konnte, dass Nikita sehr wohl Gestaltwandlerblut vergießen würde, würde sie nicht von anderen Ratsmitgliedern in Schach gehalten. Denn soweit Hawke wusste, ging es Nikita nur ums Geld – ein Krieg würde die Aktien fallen lassen. Zudem war ihr Sicherheitschef ein Mann mit einem untadeligen Ehrenkodex, der Unschuldige mit seinem Leben verteidigte.
    Was Anthony betraf – mal abgesehen davon, dass die Leoparden mehr als einmal für ihn gebürgt hatten – , so stand er einem milliardenschweren Imperium von V-Medialen vor. Nichts und niemand konnte seine Position erschüttern. Noch wichtiger war allerdings, dass das NightStar-Unternehmen mit jedem handelte, der den Preis für ihre Voraussagen zahlen konnte, seien es Menschen, Mediale oder Gestaltwandler.
    Max klopfte auf den Tisch. »Außerdem verfügen weder Nikita noch Anthony über die entsprechenden Leute. So einfach ist das.« Ein offenes Eingeständnis von Schwäche, ein geschickter Schachzug.
    »Wen können Sie noch ausschließen?« Nathan, der ranghöchste Wächter der Leoparden, der einen ebenso klaren Kopf behalten konnte wie Riley, beugte sich vor.
    »Kaleb war es auch nicht«, sagte Nikita sofort. »Den beschäftigen im Augenblick andere Dinge.«
    »Unseren Informanten zufolge«, hakte Riley nach, »steht Krychek kurz davor, das Kommando über die Pfeilgarde zu übernehmen, oder hat es bereits getan.«
    Eine längere Pause trat ein. »Sie verfügen über vorzügliche Quellen«, antwortete Anthony schließlich. »Tatsächlich scheint es, als hätte die Pfeilgarde sich von Ming abgewandt und Kaleb ihre Gefolgschaft zugesichert – Silentium und die Integrität des Medialnets waren stets oberstes Ziel der Garde. Ming hat dieses Ziel aus den Augen verloren, deshalb haben sich die Gardisten von ihm getrennt. Kaleb wird sicher nicht denselben Fehler begehen.«
    Das deckte sich mit den Informationen, die Judd über seine Kontakte erhalten hatte.
    »Möglicherweise steht Tatiana hinter den Scotts«, fügte Nikita hinzu, »aber sie wird genügend Abstand halten, damit nichts auf sie zurückfällt. Ming hat im Rat offen gegen die Scotts gestimmt und scheint mehr mit internen Problemen befasst zu sein.«
    Jetzt schaltete Hawke sich ein. »Sie sind also sicher, dass die Scotts dahinterstecken?« Ihre eigenen Nachforschungen waren zu demselben Ergebnis gelang, aber er wollte wissen, welche Gründe Nikita und Anthony für diese Annahme hatten.
    »Offensichtlich streben die beiden nach vollkommener Kontrolle über das Medialnet«, sagte Anthony, die aristokratischen Gesichtszüge zeigten keinerlei Regung, dennoch verbreitete er ein Charisma, das ihm auch ohne die V-Medialen Macht verliehen hätte. »Neben Kaleb, der im Augenblick ein zu gewaltiger Gegner wäre, stehen ihnen nur Nikita und ich im Weg – denn wir handeln gemeinsam in einer Gegend, die auch ohne uns nicht schutzlos ist.«
    »AberwirwerdenkeinerleiBeweisedafürfinden«,sagteNikitamitderkalten,schonungslosenDirektheit,dieHawkeinzwischenschonanihrkannte.»Dafürhabensieganzsichergesorgt.«
    Etwa eine Stunde lang vertiefte Hawke das Thema in einem engeren Kreis. Neben ihm nahmen Riley und Judd daran teil, von den Leoparden waren die beiden Wächter erschienen, die bereits bei der vorherigen Besprechung anwesend waren, sowie Lucas und Sascha. Das Treffen fand vor der Hütte des Alphapaars statt. Heute zog Hawke den Leoparden nicht auf, denn er wusste, wie hart es für ihn sein musste, mit seiner Gefährtin Außenstehenden dermaßen nahe zu kommen. Dabei spielte es keine Rolle, dass die Wölfe Verbündete waren – das Tier konnte nicht anders, es musste beschützen.
    Im Grunde überraschte es Hawke sogar, dass Lucas dem Treffen überhaupt zugestimmt hatte … andererseits aber auch wieder nicht. Jedes Alphatier, auch Hawke, wünschte sich eine Beziehung, wie Lucas und Sascha sie hatten. Denn Sascha war nicht nur Geliebte, war nicht nur Spielkameradin im besten Sinn, sondern auch gleichberechtigte Partnerin, an die Lucas sich stets zuerst wandte, wenn er einen Rat brauchte.
    Instinktiv dachte Hawke an Sienna. So jung … viel zu jung.
    Ming war und ist wahrscheinlich immer noch der beste Kampfstratege. Ganz egal, wer der Kopf des Ganzen ist, wenn ich wie Ming