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Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Titel: Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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viel zu große Stoffmütze auf seinem Kopf zurecht. Außerdem trug er einen billigen Anzug und hatte eine abgegriffene Aktenmappe in der Hand. Als ich ihm Guten Morgen wünschte, antwortete er mir in breitem Dialekt, wie es sonst gar nicht seine Art war.
    »Und? Nimmt man mir ab, dass ich vom Land komme?«
    »Glaub schon. Ich versteh dich jedenfalls kaum. Wo willst du denn hin?«
    »Nach Combe Carey, ins Dorf. Mich mal umsehen. Es wird spät werden.«
    »Soll ich vielleicht mitkommen?«
    »Nett von dir, aber einer muss hier die Stellung halten, und zu tun gibt es auch noch genug. Nachher treffen die Lieferungen von Satchell und Mullet ein. Kannst du sie bitte entgegennehmen und einen Blick auf die neuen Degen werfen? Ruf den alten Mullet an, wenn die Ware nicht in Ordnung ist. Die Lieferung von Satchell überprüfe ich selbst, wenn ich wieder da bin. Und nimm dir unsere Ausrüstung lieber noch ein zweites Mal vor. Hast du schon Proviant eingepackt? Ach ja …«, er kramte in seiner Jackentasche und förderte den kleinen Glasbehälter zutage, »… ich möchte dir Annie Wards Kette noch einmal anvertrauen. Wir werden uns in ein paar Tagen darum kümmern, aber bis dahin gib gut acht darauf. Am besten hängst du sie dir wieder um. Sicher ist sicher.« Mit diesen Worten klemmte er die Aktenmappe unter den Arm und ging zur Tür. »Lass nur die Lieferanten ins Haus, niemanden sonst. Womöglich stellt sich unser maskierter Freund beim nächsten Mal etwas geschickter an.«
    * * *
    Es wurde Abend. Die Wintersonne stand wie eine blasse lila Scheibe tief über den Dächern. Die Portland Row Nummer 35 war kalt und leer, ihre Stockwerke waren voller gräulicher Schatten und düsterer Ecken. Ich war allein. George und Lockwood waren noch nicht wieder zurück. Ich hatte die Lieferungen in Empfang genommen, die Ausrüstung ein zweites Mal überprüft, Essen und Trinken zusammengepackt und meine Kleidung für den kommenden Tag gebügelt. Danach hatte ich an Esmeralda eine Runde Fechten geübt. Jetzt lief ich durch das immer dunkler werdende Haus und kämpfte gegen meine schlechte Laune an.
    Es war nicht der bevorstehende Einsatz, der mir zu schaffen machte, auch wenn das Bewusstsein, wie gefährlich er war, mich immer wieder ansprang wie ein Schwarm lauernder Phantome. Ich musste Lockwood recht geben – wir durften uns solch ein großzügiges, außergewöhnliches Angebot nicht entgehen lassen, wenn die Agentur überleben sollte. Auch wenn der Fall unzählige Fragen aufwarf – nicht zuletzt die, was es mit dem Roten Zimmer und der Seufzenden Treppe auf sich hatte –, so vertraute ich doch auf Georges Recherchefähigkeiten und wusste, dass wir nicht gänzlich unvorbereitet sein würden.
    Aber obwohl ich verstand, dass der Fall unsere ganze Aufmerksamkeit erforderte, fühlte ich mich irgendwie ausgeschlossen. George wühlte in Büchern und Papieren, Lockwood sammelte vor Ort (hoffentlich) weitere Informationen über Combe Carey Hall, und ich? Ich hockte zu Hause, schmierte Marmeladenbrote und zählte Waffen durch. Das war natürlich auch notwendig, aber besonders aufregend war es nicht. Ich wollte einen wichtigeren Beitrag leisten.
    Was mich am meisten ärgerte, war der Umstand, dass wir unseren anderen Fall vernachlässigten. Ich war nicht Lockwoods Meinung, dass es ein paar Tage Zeit hatte, bis wir uns wieder mit dem Medaillon und der Inschrift befassten. Schon gar nicht nach dem Einbruch! Ich fand, wir sollten an der Sache dranbleiben, und der Anruf, den ich im Lauf des Nachmittags entgegennahm, bestätigte mich in dieser Überzeugung. Der Anrufer war nämlich Inspektor Barnes, der mir mitteilte, dass Hugo Blake wieder auf freien Fuß gesetzt werden sollte.
    »Keine ausreichenden Beweise«, sagte Barnes kurzangebun den. »Er hat kein Geständnis abgelegt, und wir können ihm nicht nachweisen, dass er damals mit Miss Ward ins Haus gegangen ist. Inzwischen sind auch seine Anwälte tätig geworden. Uns läuft die Zeit davon. Wenn nicht noch irgendetwas auftaucht, was ihn belastet – oder er doch noch den Mund aufmacht –, dann geht er morgen als freier Mann hier raus.«
    »Wie bitte? Sie dürfen ihn nicht einfach laufen lassen! Er ist schuldig!«
    »Mag sein, aber wir können es nun mal nicht beweisen .« Ich sah förmlich vor mir, wie Barnes’ Schnurrbart bebte, als er das Wort in den Hörer bellte. »Dass er sie seinerzeit heimgefahren hat, genügt nicht. Uns fehlt das entscheidende Indiz, dass er die Tat begangen hat. Wenn ihr

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