Lodernde Begierde
Sie ließ eine Gelegenheit, sich gesellschaftlich zu profilieren, nie ungenutzt verstreichen.
Sie war die Liebenswürdigkeit in Person, ihr glockenhelles Lachen klang durch den Raum und zog alle Blicke auf sich. Sophie wusste nur allzu gut, was Tessa da tat. Schließlich musste sich eine Schönheit wie Tessa keine große Mühe geben, um Sophies Triumph zu stehlen.
Lilahs Trauerkleidung war schwarz, aber sie enthüllte mehr, als sie verbarg. Das Oberteil des Kleides war so eng, dass es zu platzen drohte, und Lilah hatte mehr als genug Oberweite, um es zu einem fesselnden Anblick zu machen. Aber natürlich machte das Schwarz Lilah mit ihren Haaren und Augen nur noch schöner.
Ihr sehr nachsichtiger Ehemann war vor Kurzem genauso leise gestorben, wie er gelebt hatte. Dass sie bereits wieder unterwegs war und Leute besuchte, war gewiss skandalös, doch gemessen an Lilahs sündiger Vergangenheit kaum der Rede wert. Außerdem schien Lilah der Ansicht zu sein, sie habe ein Hühnchen mit den Urenkelinnen von Sir Hamish Pickering zu rupfen. Möglicherweise hing das damit zusammen, dass sie ihren früheren Liebhaber, Rafe, an Phoebe verloren hatte, vielleicht lag es auch nur daran, dass Lilah es nicht ertrug, die gesellschaftliche Aufmerksamkeit mit jemandem teilen zu müssen.
»Aber Sophie, wo steckt denn Graham?«, trillerte Tessa. »Lilah mag Graham so sehr. Sie sind gute, alte Freunde.«
Ein gutes, altes Liebespaar, meinte sie wohl. Jeder wusste das. Mit einem Mal wanderten die Blicke, die bisher auf sie gerichtet waren, zu Lilah. Sophie biss die Zähne zusammen und betete für eine plötzliche Heuschreckenplage. Tessa würde sich nicht benehmen. Sophies Unternehmung war bereits einen Tag, nachdem sie damit begonnen hatte, ein Fall für den Mülleimer.
Brook House war eines der wenigen Herrenhäuser, zu denen Wolfe sich nicht auf die eine oder andere Weise Zutritt verschafft hatte, wahrscheinlich weil die Marbrook-Brüder nicht in denselben wilden und zwielichtigen Kreisen verkehrten wie Wolfe und seine Freunde.
Ah, die guten alten Zeiten.
Als er auf den Marmorstufen stand, die zwar einladend, aber auch beängstigend wirkten, verspürte Wolfe einen ungewohnten Anflug von Nervosität. Womöglich wurde er nicht eingelassen, falls der Butler auch nur die geringste Ahnung von seiner Vergangenheit hatte. Er verließ sich darauf, dass das Personal eines solchen Hauses ebenfalls in anderen Kreisen verkehrte als das Personal der Häuser, die er gut kannte.
Als der groß gewachsene Butler die Tür öffnete, gab Wolfe sich besondere Mühe, freundliche Intentionen vorzutäuschen. »Guten Morgen. Mr Wolfe, von der Kanzlei Stickley & Wolfe.«
Der Gesichtsausdruck des Mannes veränderte sich nicht, der gute Ruf Stickleys hatte ihm wohl den Weg geebnet, denn er wurde hereingebeten.
»Seid Ihr geschäftlich hier, Sir? Mylady ist nicht zu Hause.«
Wolfe dachte daran, nicht zu lächeln. Anständige Leute schienen ein wenig vor ihm zurückzuschrecken, wenn er seine Zähne entblößte. Er schüttelte den Kopf. »Ich bin hier, weil ich Miss Blake besuchen möchte … äh, gesellschaftlich.«
Der Butler musterte ihn erneut mit kühler Präzision. Der Mann war gut. Das musste Wolfe ihm lassen. Er hatte das Gefühl, als stünden seine Fehler ihm mit Tinte auf der Stirn geschrieben.
Glücklicherweise hatte er sich auf exakt diese Barriere eingestellt. Er beugte sich vor. »Arbeitet sie an ihrer Übersetzung? Ich möchte zu gerne einmal einen Blick darauf werfen. Mr Stickley wusste, dass ich begeistert wäre. Ich sammle selbst Volkskundliches, müsst Ihr wissen. Ein kleines privates Interesse meinerseits.«
Im Grunde stimmte das sogar – wenn man eine umfangreiche Sammlung pornografischer Pamphlete aus ganz Europa als »volkskundlich« bezeichnen wollte.
Die leicht gerunzelte Stirn des Butlers glättete sich. »Ich verstehe, Sir. Miss Blake ist im Salon und empfängt Gäste.«
Während er ihm durch die Eingangshalle folgte, erhaschte Wolfe einen Blick auf sein Spiegelbild. Wolfes eigene Mutter, hätte sie seine Geburt überlebt, hätte ihn nicht erkannt. Ohne seinen luxuriösen Schnurrbart und seine elegante Kleidung sah er vollkommen – nun, vielleicht nicht vollkommen, aber einigermaßen – durchschnittlich aus.
Er war groß, breitschultrig und hatte noch alle seine Zähne und seine Haare, was allein ihn von den meisten Männern seines Alters abhob, aber darüber hinaus umgab ihn das Flair eines Mannes, der mehr als die
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