Lodernde Begierde
…«
Tessas schallendes Lachen erhob sich über das allgemeine Gemurmel. »Oh, ich kenne da eine äußerst köstliche Geschichte. Sie dreht sich um unsere liebe Sofia höchstpersönlich.« Das Lächeln, das sie Sophie schenkte, verhüllte kaum ihr gehässiges, triumphierendes Grinsen.
O nein! Sophie durchlief ein Schrecken. Sie verkroch sich schier in ihrem Stuhl – ein unmögliches Unterfangen für ein Mädchen ihrer Größe.
Die meisten Anwesenden wandten ihre Aufmerksamkeit höflich Tessa zu. Nein, nicht!, wollte Sophie schreien. Hört ihr nicht zu!
Tessa warf sich vor der Gruppe in die Brust. »Zuerst muss ich Euch mitteilen, dass ich Sophie zwar eingeladen hatte, uns auf unserer kleinen Reise nach London zu begleiten, daraufhin jedoch nichts von ihrer Mutter gehört habe, nicht einmal eine kurze Botschaft. Eine Woche nachdem wir uns in diesem netten kleinen Haus eingerichtet hatten, stand sie dann plötzlich unangemeldet vor der Tür. Ich konnte es kaum fassen! Tropfnass war sie und hatte nichts als eine Tasche mit alten Kleidern und einer Kiste voller Bücher dabei! Sie sah mit ihrem altertümlichen, gut fünfzehn Zentimeter zu kurzen Umhang einfach unmöglich aus. Ich hatte schon gedacht, wir hätten dem Sensenmann die Tür geöffnet!« Sie lachte melodisch und schaute sich Beifall heischend um.
Sophie hatte es die Sprache verschlagen. Sie hielt den Blick fest auf die Hände in ihrem Schoß gesenkt. Wie immer fiel ihr erst viel zu spät eine passende Antwort ein. Aber welchen Unterschied machte das schon, wenn sie ohnehin zu schüchtern war, ihn zu äußern? Wenn sie doch bloß die eisige Ruhe behalten könnte, die Lementeur versucht hatte ihr beizubringen, wenn sie doch nur das Kinn heben und gelangweilt aussehen könnte – aber stattdessen verkrampfte sich ihr Magen, und sie zitterte vor Verlegenheit.
Sie wäre niemals dieses Sinnbild der Eleganz, an dem Lementeur so hart gearbeitet hatte. Sie würde diese modische Langeweile niemals beherrschen. Dazu nahm sie alles viel zu ernst, ihre Gefühle waren zu tief und zu verwickelt. Ungerechtigkeit ärgerte sie, an unverdientem Spott nahm sie Anstoß, und der Snobismus der besseren Gesellschaft verursachte ihr wütendes Herzrasen.
Die Gelangweilten und Eleganten hatten keine so starken Gefühle, kein so brennendes Verlagen danach, die Fehler der Gesellschaft zu korrigieren, keine Zweifel und Ängste, denn es war ihnen einfach nichts wichtig genug. Eine solche Einstellung würde sie umbringen, doch in einem widersprüchlichen Impuls, der sie selbst verwirrte, sehnte sie sich dennoch nach dieser kühlen Ungerührtheit und der lässigen Sorglosigkeit.
Doch offenbar waren die Mitglieder ihres neuen Trosses bessere Freunde, als Tessa vermutet hatte, denn die Bemerkungen ihrer Anstandsdame sorgten für unbehagliches Schweigen und betretenes Abwenden der Blicke. Tessa war jedoch gegenüber einer derart subtilen Form der Missfallensbekundung immun. Es veranlasste sie nur, sich in ihrem Bemühen, die anderen zu unterhalten, noch mehr anzustrengen.
»Habe ich schon erwähnt, dass Sophie den weiten Weg von Acton hierher ganz allein zurückgelegt hat? Ja, sie ist sogar ohne Anstandsdame Kutsche gefahren! Natürlich würde sich niemand an einem Mädchen vergreifen, das so aussieht wie sie, aber trotzdem …«
Wie immer fühlte sich Sophie, als lege ihr ihre fürchterliche Schüchternheit einen Maulkorb um. Sie wollte Tessa anschreien, wollte etwas Scharfes entgegnen, etwas Vernichtendes, das ihr für immer und ewig den Mund stopfen würde, aber dieser Kampf fand allein in ihrem Innern statt. Sie bekam in Gegenwart dieser vielen Menschen einfach nicht den Mund auf.
Hilfe kam aus einer völlig unerwarteten Ecke.
»Ach, wie interessant, Tessa. Ich habe unabhängigen Frauen schon immer den Vorzug gegeben.« Graham lehnte sich lässig in den Türrahmen und schenkte Sophie ein anerkennendes Lächeln. »Wir bewundern doch alle eine Frau, die viel liest, nicht wahr?«
Seine Worte sandten eine Woge der erleichterten Zustimmung durch die anwesenden Gäste und initiierten eine Debatte über die neuesten Romane. Vollkommen ausgeschlossen und endlich der allgemeinen Missbilligung bewusst, kochte Tessa innerlich.
Langsam wich die heiße Scham von Sophies bleichen Wangen.
Es gelang ihr sogar, die eine oder andere Bemerkung zum Thema des Gesprächs zu machen, aber ihre Augen ruhten auf Graham, der wachsam eine Position am Kamin einnahm, wo er den Ellenbogen auf dem Sims
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