Loderne Glut
er anhalten mußte. »Ich möchte nicht dorthingehen.«
»Ich auch nicht. Ich würde lieber ein Bad nehmen und mich ausruhen, weil ich heute abend vielleicht gern zum Tanzen ginge, aber diese Leute können das nicht, und ich kann es auch nicht, Sie ebensowenig.« Und damit zerrte er sie erneut weiter.
Am östlichen Ende der Hopfenfelder breitete sich eine riesige flache Wiese aus, die nun mit Zelten und primitiven kleinen Hütten bedeckt war. Amanda sah auch hier und dort einen Haufen stinkenden Strohs zwischen den Zelten. Überall lagen Abfälle herum: Knochen, verdorbenes Fleisch, Pferdedung. Fliegen schwärmten in Massen umher, und Amanda sah vor einem Zelt den abgehäuteten Kopf eines Schafes, auf dem die Maden herumkrochen.
Hank hielt ihren Arm umklammert. »Ihr Vater vermietet die Zelte für fünfundsiebzig Cents pro Tag. Wenn man bedenkt, daß ein erwachsener Mann den ganzen Tag in dieser Hitze und bei dieser Luftfeuchtigkeit arbeitet und dabei ungefähr neunzig Cents verdient, ist das ein stolzer Preis - meinen Sie nicht auch? Diejenigen, die sich kein Zelt leisten können, kaufen sich Stroh und schlafen darin. Es gibt keine Gruben oder Behälter für Abfälle.«
Er schleppte sie den Fahrweg hinunter bis zum Zentrum dieses Gestanks, und einen Moment lang konnte Amanda nur sprachlos auf dieses Elend starren. Hier befanden sich die Außentoiletten. Da standen ungefähr fünfzehn bis zwanzig Leute vor jeder Toilette an, und während Amanda zusah, trat eine schwangere Frau, die am Ende der Schlange wartete, zur Seite und übergab sich. Amanda drehte sich ebenfalls der Magen um, und dabei war sie immer noch viele Meter von den Toiletten entfernt.
»Ihr Vater hat neun Toiletten für zweitausendachthundert Arbeiter eingerichtet«, berichtete Hank weiter. »Jede Toilette hat zwei Löcher. Männer und Frauen benützen eine Toilette gemeinsam - es sind ja nur Arbeiter; wen kümmern da Schamgefühle? Sie leben nicht besser als Tiere. Gestern hatten die Pflücker versucht, den Boden sauber zu halten, indem sie die Abfälle einsammelten und in die Toiletten warfen; aber die Löcher unter den Sitzbrettern sind nicht tiefer als sechzig Zentimeter. Sie waren schon gestern abend voll. Caulden ließ die Toiletten nicht leeren. Möchten Sie gern eine von diesen Toiletten benützen, Amanda? Der Boden ist völlig mit Exkrementen bedeckt. Wie Sie sehen können, wird den Leuten von dem Gestank schon übel. Wenn Sie lange genug hierbleiben, werden Sie erleben, wie sich jemand in die Hosen macht. Bei diesem Schmutz bekommen die Leute die Ruhr.«
Amandas Trotz war gebrochen. Sie hatte noch nie so etwas Furchtbares gesehen und hätte sich nie träumen lassen, daß es so etwas überhaupt gab. Hank mußte sie nicht mehr mit sich ziehen, als sie nun von diesem Platz weggingen. Er blieb bei einer Wasserpumpe stehen.
»Es gibt hier zwei Brunnen für alle Arbeiter; doch beide sind bereits vor Sonnenaufgang leergepumt, und der nächste Brunnen ist eine Meile entfernt. Die Ruhezeit der Arbeiter ist sowieso schon knapp bemessen; aber das bißchen Freizeit, das ihnen bleibt, geht dadurch verloren, daß sie meilenweit gehen müssen, um sich Wasser zu besorgen.«
Er bewegte sich nun auf die Felder zu, während seine Hand noch immer ihren Oberarm umklammerte. Er führte sie auf ein Feld, auf dem die Arbeiter die hohen, pyramidenförmigen Spaliere, an denen der Hopfen emporrankte, auf den Boden heruntergezogen hatten, während auf der anderen Hälfte des Feldes die Stangen noch aufrecht standen. Das Feld war mit Männern, Frauen und Kindern bedeckt, die hastig die Ranken von den Spalieren abrissen und in Säcke stopften. Es war hier unerträglich heiß, und man konnte die feuchtigkeitsgeschwängerte heiße Luft über den Köpfen der Leute wabern sehen.
»Würden sie gern in dieser Hitze arbeiten, Amanda? Ein Mann ist gestern an Hitzschlag gestorben. Bis jetzt hat man vier Kinder auf Tragbahren von den Feldern weggetragen. Hier draußen gibt es keine Toiletten, so daß die Arbeiter entweder dann ganzen Tag über nicht ihre Notdurft verrichten können oder den langen Weg zu den Toiletten im Lager antreten und sich dort vor den Toiletten anstellen müssen. Und nehmen sie nun ihren Zentnersack mit ihrem gepflückten Hopfen mit, oder lassen sie ihn hier liegen, damit ein anderer ihn stiehlt? Sie gehen dort hinüber«, erklärte Hank und deutete auf den noch nicht abgeernteten Teil des Feldes. »Das bedeutet natürlich, daß sie beim Pflücken
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