Loderne Glut
an, wie sie konnte, aber meine Kleider waren zerrissen, schmutzig und zerknittert, als ich in die Schule kam, und die anderen Kinder lachten mich aus. Ich war daran gewöhnt, daß man über mich lachte. Das konnte ich verstehen, aber dann kam die kleine Miß Amanda - blitzsauber und ganz in Weiß - auf mich zu, legte den Arm um mich und sagte zu den anderen, sie sollten aufhören zu lachen. Das machte mich verrückt. Ich konnte es zwar ertragen, wenn andere mich verspotteten, aber Mitleid - das konnte ich nicht ausstehen. Ich stieß Amanda zu Boden, fiel über sie her und ohrfeigte sie.«
Hank hörte ihr gespannt zu. »Und was hat Amanda getan?« fragte er und dachte, daß sie heulend zum Lehrer gelaufen war.
Reva grinste. »Sie hat mir ein Auge blaugeschlagen. Sie bekam Schwierigkeiten, aber ich nicht, weil der Lehrer gesehen hat, wie Amanda auf mir saß und mir die rechte Faust ins Gesicht schlug. Von diesem Tag an waren wir Feinde, bis der alte Caulden sie aus der Schule nahm. Seither hat man sie nur noch selten gesehen. Es ist so, als wäre sie in einen anderen Staat gezogen. Hat sie sich sehr verändert?«
Hank konnte sich nicht vorstellen, daß die Amanda, die er kannte, jemanden verprügeln könnte. Was hatte bei ihr diese dramatische Veränderung bewirkt? War ihr inzwischen bewußt geworden, daß sie das reichste Mädchen in der Stadt war und deshalb etwas Besseres als die anderen?
»Sie hat sich verändert«, antwortete er schließlich. »Sie ist nicht mehr die Amanda von damals. Möchten Sie noch ein Bier haben?«
Was ich haben möchte, dachte Reva bei sich, kann man nicht in einer Flasche finden: Ich wünsche mir jemanden wie dich: sauber, klug, stark - jemanden, der für mich sorgt. War er irgendwie an Amanda gebunden? »Besuchen Sie hier noch jemand anderen außer den Cauldens?« fragte sie.
Aus irgendeinem Grund mochte er nicht die Gewerkschafter erwähnen, die planten, nach Kingman zu kommen. Er wollte nicht, daß die Stadt in Unruhe versetzt wurde. Die Leute hatten eigenartige Vorstellungen von Gewerkschaftsangehörigen und was sie zu erreichen hofften. Also beschloß er, ihr das zu verschweigen.
»Ich will die Ranch kennenlernen. Ich wußte nicht, daß J. Harker eine Tochter hat, als ich hierherkam. Amanda ist mit ihrem Hauslehrer verlobt.«
Reva lehnte sich zurück und lächelte ihn süß an. »Dann sollten Sie auch die Leute von Kingman kennenlernen. Am Samstagabend ist dort Tanz«, erklärte sie, und ihre Stimme hatte einen hoffnungsvollen Klang.
Hank wußte, daß Reva nicht sein Typ war, aber in den letzten paar Tagen, seit er Amanda getroffen hatte, war er sich nicht mehr sicher, wie »sein« Typ aussah. Zweifellos war er fasziniert von so einer prüden Lady wie Amanda. Aber wenn er einen Tanzball besuchte und dort anderen Frauen begegnete, konnte es sein, daß ihm nicht ständig diese selbstgefällige, magere kleine Amanda vor Augen stand.
»Könnte ich Sie vorher abholen?« fragte er schließlich.
Reva grinste breit und strich sich mit der Hand über die Haare. »Ich treffe Sie hier. Sagen wir - um acht?«
»Großartig«, sagte er. »Ich sollte jetzt besser wieder zurückfahren. Könnte sein, daß die Cauldens sonst die Haustür verriegeln.«
Sie hätte ihm fast angeboten, bei ihr zu übernachten; aber sie tat es nicht. Er brachte sie bis zu der Ecke der Fourth und Front Street und setzte sie dort ab. Sie mochte ihm nicht die Wohnung zeigen, in der sie lebte. Sie sah ihm nach, als er auf die große, dunkle Ranch der Cauldens zufuhr, und dachte, daß Amanda wieder einmal das hatte, was sie, Reva, sich wünschte. Reva hatte oft über den blinden Zufall der Herkunft nachgedacht und ihn verflucht, die einer Person alles schenkte und ihr selbst nichts. Amanda führte ein unbeschwertes Leben - ohne Kummer und Sorgen; ohne einen betrunkenen Vater, der sie jeden Tag bedrohte; ohne jemanden, der ihr ständig befahl, was sie tun sollte. Amanda hatte es immer nur gut gehabt; während Reva sich mit den schlechten Dingen des Lebens abzufinden hatte.
Reva ging nun auf die Bahngeleise zu. Aber vielleicht konnte Reva dieses Mal auf der Seite der Gewinner stehen! Sie begann sich auszurechnen, ob sie so viel Geld von ihrem mageren Lohn als Kassiererin abzweigen könne, daß es für ein neues Kleid für den Ball am Samstag reichte. Würden nicht alle staunen, wenn sie mit einem Mann wie ihm zum Tanzen kam?
Kapitel Sechs
Man konnte zwar nicht sagen, daß Amanda sich aus dem Haus »stahl«; aber
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