Loderne Glut
Hähnchen?
Nach dem Dinner, als die Uhren überall im Haus Viertel nach sieben schlugen, erschien Amanda im Salon. Hank blickte von seiner Zeitung auf, nickte ihr kurz zu und verschanzte sich dann wieder hinter seiner Lektüre. Er fragte sich, ob sie wohl wieder aus dem Zimmer ging, wenn sie ihren geliebten Taylor hier nicht allein antraf?
Taylor verkündete, daß Amanda ihnen vorlesen würde.
»Ich möchte sie nicht davon abhalten«, sagte Hank hinter seiner Zeitung; aber als er spürte, wie sich ein bedrückendes Schweigen auf den Raum herabsenkte, wußte er, daß man von ihm eine angemessene Aufmerksamkeit erwartete. Langsam legte er die Zeitung zusammen, legte sie zur Seite und faltete dann, die Hände in dem Schoß, wie sich das für einen guterzogenen jungen Gentleman gehörte.
Amanda, die ein strenges, kleines blaues Kleid mit einem Spitzenkrägelchen trug, stand in perfekter gerader Haltung vor ihnen beiden, hielt ein aufgeschlagenes Poesiebuch in den Händen, und wie er erwartet hatte, las sie ihm nun die langweiligsten Gedichte vor, die jemals verfaßt worden waren. Er wäre darüber eingeschlafen, wenn die Vorlesung ihm nicht Gelegenheit gegeben hätte, sie zu betrachten: lange, dichte, fast üppige Wimpern; ein voller Mund, der sich beim Lesen verführerisch bewegte. Er lauschte ihrer Stimme, hörte, wie zärtlich sie mit Worten umging, die von Liebe sprachen, und fragte sich, wie ihre Stimme klingen würde, wenn sie ihm Liebesworte ins Ohr flüsterte.
Doch Liebesworte, die aus ihr selbst kamen, würde sie zu Taylor sagen. Hank musterte Taylor und merkte, daß der Mann ihren Vortrag nicht genoß, sondern ihn eher beurteilte. Er sah aus wie ein Lehrer vor seiner Studentin - nicht wie ein Mann, der der Frau zuhörte, die er liebte.
Dann wurde Hank sich bewußt, daß sie aufgehört hatte zu lesen, und er sah zu, wie sie auf Taylor zuging und ihm das Buch mit einem leisen, eher zaghaften Lächeln übergab und »bitte« hauchte. Hank spürte einen Stich der Eifersucht, als dieser kalte, ernste Taylor ihr das Buch abnahm. Hank hatte erwartet, daß er zumindest ihr Lächeln erwiderte - tatsächlich hätte er an seiner Stelle fast alles getan, wenn sie ihn so angesehen hätte; doch Taylor nahm nur das Buch entgegen, öffnete es und begann selbst vorzulesen.
Während Taylor mit monotoner Stimme rezitierte, beobachtete Hank Amanda, sah, wie sie Taylor anhimmelte, als wäre er ein Gott - als hätte er Gewalt über Tod und Leben. Taylor hingegen schien ihre Verehrung gar nicht wahrzunehmen. Es machte Hank plötzlich wütend, daß Amanda soviel geben sollte und so wenig dafür bekam. Wenn sie sein gewesen wäre, hätte er ihr die Welt zu Füßen gelegt. Alles, was sie vertragen konnte, und noch mehr. Wenn er mit ihr verlobt gewesen wäre, hätte er nicht die Abende damit verbracht, ihr Gedichte vorzulesen, sondern er hätte sie hinausgeführt, dorthin, wo der Jasmin wuchs, und hätte sie geküßt, während er ihr dieses gräßliche Kleid von den Schultern streifte. Er hätte sie . . .
»Dr. Montgomery?«
Die Stimme weckte ihn aus seiner Gedankenverlorenheit. Es war Amanda, die ihm nun das Buch überreichte.
»Vielleicht würden Sie uns auch gern etwas vorlesen?«
Hank war so in Gedanken gewesen, daß er zunächst gar nicht verstand, was sie gesagt hatte.
»Dr. Montgomery ist Ökonom«, erklärte Taylor mit seiner klirrenden Stimme. »Ich bezweifle, daß ihn Poesie interessiert.«
Hank nahm das Buch nicht entgegen, sondern sah nur Amanda an, und sein Blick war so glühend, wie er sich fühlte, während er ein glühendes Liebesgedicht von William Butler Yeats zu zitieren begann.
Als er endete, war es still im Zimmer, und er wurde nur gewahr, wie sich eine bezaubernde Röte über Amandas Hals und Gesicht stahl.
»Ich kann nicht sagen, daß dies etwas nach meinem Geschmack gewesen ist, Dr. Montgomery«, rügte Taylor wie aus der Ferne her. »Amanda«, kam dann seine scharfe Stimme, so daß sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn konzentrierte. »Ich denke, du solltest uns noch etwas anderes vortragen.«
Plötzlich konnte Hank es nicht mehr bei den beiden im Zimmer aushalten. »Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen«, brachte er mühsam hervor, und ohne erst ihre Antwort abzuwarten, verließ er den Salon. Er ging nach draußen; doch selbst dort fühlte er sich eingeengt, als drohte er zu ersticken und bekäme nicht genügend Luft. Er ging zu der großen Garage, in der sein Wagen untergestellt war, und ehe
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