Loderne Glut
zu.
Hank zog den Reifen auf der Felge auf. »Wenn Sie Ihr Temperament eine Weile bändigen können, werde ich Sie zurückbringen und dann Ihre kostbare Ranch verlassen . . .« Er hörte das Knirschen von Kies, drehte sich um und sah sie fortgehen.
Geschieht ihr recht, daß sie zu Fuß gehen muß, dachte er. Wenn sie mal selbst was unternehmen muß, statt immer nur zu kommandieren. Während er den Ersatzreifen in die Felgenmulde drückte, lehnte er die Stirn gegen das kühle Blech der Chassis. Er bezweifelte, daß er jemals in seinem Leben so wütend gewesen war wie jetzt. Ungerechtigkeit war es, was ihn so erzürnte - nicht die Launen eines hübschen Mädchens. Er haßte es, mit ansehen zu müssen, wenn andere Menschen mißhandelt wurden; haßte Baracken, die reichen Grundstücksbesitzern gehörten; haßte es, wenn arme Landpächter sich abrackem mußten, um dem Land den geforderten Pachtzins abringen zu können; haßte es, erleben zu müssen, wie man Menschen ihre Grundfreiheiten nahm.
Vielleicht hatte ihn so erbost, daß Amanda versucht hatte, ihm seine Freiheit zu nehmen. Sie hatte ihn auf einen Stundenplan gesetzt und erwartete, daß er genau das tat, was sie von ihm erwartete. Gleich ihrem Vater, J. Harker, glaubte sie, daß jeder, der auf seinem Land arbeitete, keine Rechte hatte.
Er drehte sich um und blickte Amanda nach, die in der Entfernung immer kleiner wurde.
Sie ist wie ihr Vater, dachte er. Wie ihr Vater versuchte sie ständig, andere Leute unter ihre Kontrolle zu bringen, und dieser Driscoll ist aus dem gleichen Holz geschnitzt wie Harker. Die beiden würden am liebsten die ganze Welt und alles, was darin lebte, unter ihre Fuchtel bringen.
Hank setzte sich plötzlich kerzengerade auf, als würde er von einem neuen Gedanken erschreckt. »Wollen sie die ganze Welt unter ihre Fuchtel bringen — oder nur eine kleine Tochter und Frau?« flüsterte er.
Sogleich war er auf den Beinen und rannte los.
Amanda blieb stehen, als er ihr mit einemmal den Weg versperrte, und zog die Schultern ein, als erwartete sie einen Schlag.
»Amanda«, begann er vorsichtig, wütend auf sich selbst, weil er ihr angst machte. »Erzählen Sie mir alles über Ihre Stundenpläne.«
Er schien nicht mehr ungehalten zu sein, aber Amanda traute ihm nicht. »Taylor erstellt jeden Abend eine exakte Liste mit meinen Pflichten, die ich am kommenden Tag zu erfüllen habe.«
»Und wie lange tut er das schon?« fragte Hank nach und hielt den Atem an. Er war sich nicht sicher, was er jetzt erfahren würde, aber er ahnte etwas.
Amanda blieb mißtrauisch. Warum fragte er sie über eine so selbstverständliche Sache wie einen Stundenplan aus? »Seit ich vierzehn Jahre alt war. Taylor wurde schließlich als Hauslehrer für mich engagiert.«
»Der Stundenplan, den ich gesehen habe, schien jede Minute des Tages aufzulisten.«
Sie runzelte die Stirn. »Ja, natürlich. Auf ihm steht, was ich tagsüber mache. Schreibt Ihr Stundenplan Ihnen denn nicht vor, was Sie zu tun haben?«
Hank beantwortete ihre Frage nicht. Er stieß den Atem aus. »Und auf Ihrem Plan steht auch, was Sie anziehen sollen?«
»Ja.«
»Und was Sie essen sollen?«
»Ja.«
»Selbst die Zeit, die Sie im Badezimmer verbringen dürfen?«
Sie sah errötend zur Seite. »So etwas muß in einem ordentlichen Haushalt geregelt sein.«
Hank sah sie lange an — betrachtete ihr Profil und die Wölbung ihres Nackens. Als er ihr zum ersten Mal begegnet war, waren ihm ihre melancholischen Augen aufgefallen, und nun kannte er den Grund für ihre Traurigkeit. Mit vierzehn war sie ein Schmetterling gewesen, der gerade aus seiner Puppenhülle schlüpfen wollte, doch ihr Vater hatte sie in diesem Moment gefangengenommen und einen Schmetterlingstöter engagiert, der sie wieder in ihren Kokon einspinnen sollte. Und dort war sie bis heute geblieben.
Er wollte sie in die Arme nehmen, sie an seine Brust drücken und ihr sagen, daß jetzt alles gut würde, doch damit konnte er ihr nicht helfen, weil sie nämlich gar nicht wußte, daß etwas nicht stimmte und in Ordnung gebracht werden mußte.
»Amanda«, erklärte er, geduldig, als redete er mit einem verschüchterten Kind, »Sie werden gefangengehalten. Wie Ihr Vater die Leute mißhandelt, die für ihn arbeiten, so werden Sie von Driscoll mißhandelt. Andere Leute haben keinen Stundenplan; andere Leute können essen, auf was sie Lust haben, ins Badezimmer gehen, wann es ihnen paßt, Driscoll hat Ihnen alle Freiheiten genommen, und
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