Loderne Glut
Kontrolle über Ihr Leben zu übernehmen, obwohl sie diese Kontrolle schon einem anderen überlassen haben?«
Um fünf Uhr dreißig hörte er ein Geräusch und wußte, daß nun bald die Stunde für Amandas Strafexamen schlug. Er schluckte seinen Zorn über diese Ungerechtigkeit hinunter und schloß seinen Koffer. Das war nicht länger sein Problem - das war es eigentlich nie gewesen -, und er ging nach unten. Als er sein Abschiedsbillett auf den Tisch in der Halle legte, bemerkte er Licht in der Bibliothek und sah, daß die Schiebetüren nicht ganz geschlossen waren.
Obwohl er sich sagte, daß ihn das alles nichts mehr anginge, schielte er durch den Türspalt in die Bibliothek. Amanda, die klein und zerbrechlich wirkte, saß hinter dem großen Schreibtisch, ein Blatt Papier und einen Federhalter vor sich. Sie hatte den Kopf auf die Platte gelegt, und ihre Handflächen waren nach oben gedreht. Sie sah aus wie ein schlafendes Kind.
Er hatte ein schlechtes Gewissen. Sie schlief dort am Tisch, weil er sie am Abend aus ihrem Haus entführt hatte und sie dann den Rest der Nacht zum Studieren verbringen mußte. Vorsichtig schob er die Tür ganz auf, zog sie hinter sich wieder zu und ging zu ihr. Sie schlief so fest, daß sie ihn nicht hörte, und bewegte sich auch nicht, als er das Papier mit den Aufgaben vom Tisch nahm und es betrachtete. Es war eine schwierige, komplizierte Rechenaufgabe, die Taylor ihr aufgegeben hatte, und Hank verfluchte diesen Driscoll abermals.
Hank überlegte keinen Moment, was er jetzt machen sollte. Er nahm Amandas Federhalter zur Hand und einige Blätter von Cauldens teurem Briefpapier und begann die Aufgaben auszurechnen. Eine halbe Stunde später war er damit fertig und schrieb dann noch rasch ein kurzes Billett, das er Amanda in den Schoß legte. Daraufhin küßte er ihre Fingerspitzen, strich ihr noch einmal sacht übers Haar, das wieder so straff zurückgekämmt war wie früher, und flüsterte: »Lebe wohl, Dornröschen.« Damit verließ er den Raum und das Haus.
Kapitel Elf
Nun, Amanda«, rief Taylor laut und riß sie aus dem Schlaf, so daß sie fast vom Stuhl gefallen wäre. »Es scheint, daß meine Aufgabe dich gelangweilt hat - als wäre es dir gleichgültig, ob du meine Prüfungen bestehst oder nicht. Vielleicht bedeute ich dir nichts mehr.«
Amanda brauchte einen Moment, um sich zurechtzufinden und zu begreifen, was überhaupt los war, und wurde dann von einem Gefühl der Panik ergriffen. Sie hatte diese Prüfungsaufgabe unbedingt bestehen wollen und war die ganze Nacht aufgeblieben, um zu lernen, und in dem Augenblick, in dem sie sich hingesetzt hatte, um die Aufgaben zu lösen, war sie einfach eingeschlafen.
Sie ballte die Hände unter dem Tisch zu Fäusten. Wieder einmal war dieser Dr. Montgomery schuld, daß Taylor sich über sie ärgern mußte. Wäre er nicht nach Kingman gekommen, wäre sie weder zum Tanzen gegangen noch beinahe vergewaltigt worden. Sie hätte sich nicht einmal am Sonntagmorgen um sechs Uhr einer Prüfung in Mathematik unterziehen und schon gar nicht mit ansehen müssen, wie Taylor jetzt das leere Prüfungspapier in die Hand nahm.
»Ich kann das erklären«, begann sie, schwieg dann aber wieder. Wie und was erklären? überlegte sie verzweifelt und bemühte sich, sich eine Geschichte auszudenken, die der Wahrheit auch nicht im entferntesten nahe kam. »Ich . . .«
Taylor hob den Kopf und blickte sie überrascht an. »Du hast deine Sache sehr gut gemacht«, lobte er leise. »Ich hatte ja keine Ahnung, daß du so begabt bist für Mathematik.« Er hatte sie in dieser Disziplin kaum unterrichtet - nicht weil sie nicht mit Zahlen hätte umgehen können, sondern weil er in diesem Fach selbst nicht sonderlich gut abgeschnitten hatte. Er zog die freien Künste und die Literatur dieser strengen Disziplin bei weitem vor. Er war so wütend gewesen über ihren abscheulichen aufreizenden Auftritt, daß er ihr die denkbar schwierigste Aufgabe stellen wollte. Er hatte ihr befohlen, die Anfangsgründe der Differentialrechnung zu studieren, aber der schriftliche Test stammte aus dem Buch für Fortgeschrittene im dritten Studienjahr. Wie er seinem Lösungsblatt für Lehrkräfte entnehmen konnte, hatte sie alle Aufgaben perfekt gelöst. Nach dem Maßstab dieses Tests übertrafen ihre Mathematikkenntnisse bei weitem die seinen.
»Gut?« echote Amanda dümmlich. »Aber ich habe ja nicht einmal die Fragen verstanden.«
Er maß sie mit einem kalten Blick. Wollte sie ihn
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