Löcher: Die Geheimnisse von Green Lake (Gulliver) (German Edition)
die Löcher stopfen?«
Sam lachte. »Ich bin ganz geschickt mit den Händen«, sagte er. »Mein Boot habe ich selbst gebaut. Wenn das nicht dicht wäre, das könnte ganz schön unangenehm werden.«
Katherine konnte seine großen, kräftigen Hände gar nicht übersehen.
Sie trafen ein Abkommen. Er würde ihr die undichten Stellen im Dach stopfen und sie würde ihm dafür sechs Gläser von ihren eingemachten Pfirsichen geben.
Eine Woche dauerte es, bis Sam das Dach repariert hatte, weil er immer nur nachmittags arbeiten konnte – nachdem die Schule aus war und bevor der Unterricht am Abend begann. Sam durfte nicht am Unterricht teilnehmen, weil er ein Schwarzer war, aber sie erlaubten ihm, das Gebäude zu reparieren.
Während Sam auf dem Dach arbeitete, blieb Miss Katherine normalerweise in der Schule, sah Hefte durch oder machte andere Arbeiten. Viel konnten sie nicht miteinander reden, weil sie alles laut hinauf oder hinunter rufen mussten, aber die Unterhaltung machte ihr Freude. Sie war erstaunt, wie sehr er sich für Dichtung interessierte. Wenn er eine Pause machte, las sie ihm manchmal ein Gedicht vor, und es passierte mehr als einmal, dass sie ein Gedicht von Poe oder Longfellow zu lesen anfing und er es aus dem Gedächtnis zu Ende zitierte.
Sie war traurig, als das Dach fertig war.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte er.
»Nein, Sie haben das ganz wundervoll gemacht«, sagte sie. »Es ist nur so, dass – die Fenster lassen sich nicht mehr öffnen. Es wäre so schön für die Kinder und mich, wenn wir ab und zu ein bisschen frische Luft hereinlassen könnten.«
»Das kriegen wir schon wieder hin«, sagte Sam.
Sie gab ihm noch zwei Gläser Pfirsiche und Sam reparierte die Fenster.
Als er an den Fenstern arbeitete, ging es mit der Unterhaltung einfacher. Er erzählte ihr von seinem geheimen Zwiebelfeld auf der anderen Seite des Sees, »wo die Zwiebeln das ganze Jahr über wachsen und das Wasser bergauf fließt«.
Als die Fenster sich wieder öffnen ließen, beklagte sie sich, dass ihr Schreibtisch wackelte.
»Das kriegen wir schon wieder hin«, sagte Sam.
Als sie ihn das nächste Mal traf, erwähnte sie, dass die Tür schief in den Angeln hing, und während er die Tür reparierte, konnte sie wieder einen Nachmittag mit ihm verbringen.
Am Ende des ersten Halbjahres hatte Zwiebel-Sam das alte, heruntergekommene Schulhaus in ein solides, frisch gestrichenes Gebäude verwandelt, ein Juwel, auf das die ganze Stadt stolz war. Alle, die vorübergingen, blieben stehen und bewunderten es. »Das ist unser Schulhaus. Da sieht man doch, welch hohe Bedeutung wir in Green Lake der Erziehung beimessen.«
Die Einzige, die sich nicht freute, war Miss Katherine. Es gab überhaupt nichts mehr zu reparieren.
Eines Nachmittags saß sie an ihrem Schreibtisch und lauschte dem Regen, der aufs Dach trommelte. Kein Wasser drang mehr in das Klassenzimmer, bis auf die wenigen Tropfen, die aus ihren Augen fielen.
»Zwiebeln! Gute, scharfe Zwiebeln!«, hörte sie Sam draußen auf der Straße rufen.
Sie lief zu ihm hinaus. Am liebsten wäre sie ihm um den Hals gefallen, aber das brachte sie nicht fertig. Stattdessen legte sie beide Arme um den Nacken von Mary Lou .
»Stimmt was nicht?«, fragte Sam.
»Ach, Sam«, sagte sie, «mir bricht das Herz!«
»Das kriegen wir schon wieder hin!«, sagte Sam. Sie drehte sich um und sah ihn an.
Er nahm ihre beiden Hände in seine und dann küsste er sie.
Wegen des Regens war kein Mensch auf der Straße. Aber selbst wenn, so hätten Katherine und Sam es gar nicht bemerkt. Sie befanden sich in ihrer eigenen Welt.
Genau in diesem Moment verließ Hattie Parker den Gemischtwarenladen. Die beiden sahen sie nicht, aber sie sah die beiden. Mit bebendem Finger zeigte sie in ihre Richtung und zischte: »Gott wird euch strafen!«
26
Telefone gab es noch nicht, aber auch so verbreitete sich die Nachricht in Windeseile in der kleinen Stadt. Am Ende des Tages gab es niemanden in Green Lake, der nicht gehört hätte, dass die Lehrerin den Zwiebelverkäufer geküsst hatte.
Nicht ein einziges Kind erschien am nächsten Morgen zum Unterricht.
Miss Katherine saß allein im Klassenzimmer und fragte sich, ob sie sich vielleicht im Wochentag geirrt hatte. Vielleicht war heute ja Samstag. Erstaunt hätte es sie nicht. Seit Sam sie geküsst hatte, waren ihr Kopf und ihr Herz durcheinander geraten.
Sie hörte ein Geräusch vor der Tür und gleich darauf stürmte eine Horde Männer und Frauen das
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