Löcher: Die Geheimnisse von Green Lake (Gulliver) (German Edition)
Schulgebäude. Angeführt wurde sie von Trout Walker.
»Da ist sie!«, brüllte Trout. »Da ist die Teufelin!«
Der Pöbel warf Tische und Bänke um und riss die Tafeln von den Wänden.
»Sie hat die Köpfe unserer Kinder vergiftet mit ihren Büchern!«, verkündete Trout. Sie fingen an, sämtliche Bücher mitten im Klassenzimmer aufzutürmen.
»Überlegt euch, was ihr tut!«, schrie Miss Katherine.
Jemand wollte sie packen, riss an ihrem Kleid, aber Miss Katherine schaffte es, aus dem Schulhaus zu entkommen.
Sie rannte zum Büro des Sheriffs.
Der Sheriff hatte die Füße auf den Schreibtisch gelegt und trank Whiskey aus der Flasche. »Morgen, Miss Katherine«, sagte er.
»Sie machen das ganze Schulhaus kaputt!«, rief sie atemlos. »Sie werden es noch abbrennen, wenn niemand sie daran hindert!«
»Beruhigen Sie sich erst mal, meine Hübsche«, meinte der Sheriff gemächlich. »Und dann erzählen Sie mir, worum es eigentlich geht.« Er erhob sich und kam auf sie zu.
»Trout Walker hat –«
»Sie wollen doch wohl nichts Schlechtes über Trout Walker sagen«, unterbrach sie der Sheriff.
»Wir haben nicht viel Zeit«, drängte Miss Katherine. »Sie müssen den Leuten Einhalt gebieten!«
»Du bist weiß Gott ein hübsches Mädchen«, sagte der Sheriff.
Miss Katherine starrte ihn entsetzt an.
»Komm, küss mich«, sagte der Sheriff.
Sie schlug ihn ins Gesicht.
Er lachte. »Den Zwiebelmann hast du doch auch geküsst. Warum dann mich nicht?«
Sie wollte noch einmal zuschlagen, aber er hielt ihre Hand fest.
Sie wand sich, um freizukommen. »Sie sind betrunken!«, schrie sie.
»Ich trinke mir immer einen an, bevor ich jemanden aufhängen muss.«
»Aufhängen? Aber wen denn – ?«
»Es ist gegen das Gesetz, wenn ein Nigger eine Weiße küsst.«
»Dann werden Sie mich auch aufhängen müssen«, sagte Katherine. »Ich habe ihn nämlich zurückgeküsst.«
»Wenn du ihn küsst, ist das nicht gegen das Gesetz«, erklärte der Sheriff. »Nur wenn er dich küsst.«
»Vor Gott sind wir alle gleich«, erklärte die Lehrerin.
Der Sheriff lachte. »Wenn Sam und ich gleich sind, warum küsst du mich dann nicht?« Wieder lachte er. »Ich mach dir einen Vorschlag. Einen süßen Kuss von dir, und ich hänge deinen Freund nicht. Ich jage ihn bloß aus der Stadt.«
Miss Katherine riss ihre Hand los. Während sie zur Tür rannte, hörte sie den Sheriff noch sagen: »Sam wird nach dem Gesetz bestraft. Du bekommst deine Strafe von Gott!«
Als sie auf die Straße trat, sah sie Rauch aus dem Schulhaus aufsteigen. Sie rannte zum See hinunter, wo Sam gerade dabei war, Mary Lou vor den Zwiebelkarren zu spannen.
»Gott sei Dank, dass ich dich gefunden habe«, sagte sie und fiel ihm um den Hals. »Wir müssen weg von hier! Sofort!«
»Was –«
»Irgendwer muss uns gestern gesehen haben, als wir uns geküsst haben«, sagte sie. »Sie haben das Schulhaus in Brand gesteckt. Der Sheriff hat gesagt, er wird dich aufhängen!«
Sam zögerte einen Moment lang, so als könnte er nicht glauben, was sie sagte. Er wollte es nicht glauben. »Komm, Mary Lou .«
» Mary Lou müssen wir hier lassen«, sagte Katherine. Einen Moment lang starrte Sam sie an. Tränen standen in seinen Augen. »Okay.«
Sams Boot lag im Wasser. Es war mit einem langen Seil an einen Baum gebunden. Er band es los und sie wateten durch das Wasser und stiegen ins Boot. Mit seinen kräftigen Armen ruderte Sam vom Ufer weg.
Doch dem motorisierten Boot von Trout Walker waren auch Sams Arme nicht gewachsen. Sie waren kaum weiter als über den halben See gerudert, als Miss Katherine das laute Dröhnen des Motors hörte. Dann sah sie den hässlichen schwarzen Rauch ...
Was dann geschah?
Das Boot der Walkers rammte Sams Boot. Sam wurde im Wasser erschossen. Katherine Barlow wurde gegen
ihren Willen gerettet. Als sie ans Ufer zurückgebracht wurde, sah sie Mary Lou dort liegen. Jemand hatte den Esel in den Kopf geschossen.
Das alles geschah vor einhundertzehn Jahren. Seit damals ist nicht ein Tropfen Regen auf Green Lake gefallen.
Der Leser mag selbst entscheiden: Wen hat Gott gestraft?
Drei Tage nach Sams Tod erschoss Miss Katherine den Sheriff, während er an seinem Schreibtisch saß und eine Tasse Kaffee trank. Anschließend schminkte sie sich sorgfältig die Lippen rot, bevor sie ihm den Kuss gab, um den er sie gebeten hatte.
Während der nächsten zwanzig Jahre war Kissin’ Kate Barlow eine der gefürchtetsten Banditinnen im ganzen amerikanischen
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