Lösegeld am Henkersberg
Betäubungsgases. Erst nach Stunden würden sie
aufwachen.
Die Verbrecher hatten sich eingerichtet
auf ihre Geiseln. Zwei fensterlose Büroräume innerhalb der Halle enthielten
jetzt chemische Toiletten. Gluschke hatte während der letzten Tage bei
verschiedenen Bäckereien Semmeln eingekauft: 200 insgesamt. Döbbel hatte für 30
Pfund Hartwurst gesorgt. Außerdem standen 60 Flaschen Cola und Mineralwasser
bereit.
Entfliehen konnte keine der Geiseln.
Das ließ die Örtlichkeit nicht zu. Außerdem würde man die Schüler/innen nur
einzeln aus dem Möbelwagen herauslassen — wenn der Gang zum WC unvermeidlich
war.
Enrico und Carlo kampierten im
Kastenwagen. Auch der stand in der Halle. Abends sollte Gluschke die Italiener
ablösen.
Döbbel, der den Auf- und Abbau der
Straßensperre auf die Sekunde genau erledigt hatte, war jetzt nervös.
Ihm oblag nämlich, was er lieber einem
anderen überlassen hätte: Um 10.30 Uhr — genau wie vorgesehen laut Plan — sollte
er den Polizeipräsidenten anrufen und die Bedingungen übermitteln für die
Lösegeld-Übergabe.
„Du machen gut ganz sicher“, meinte
Enrico und klatschte dem Wirt auf die Schulter. „Du dich beeilen, daß
wegkommen. Dein Porsche fallen auf.“
„Vor allem, weil er keinen Außenspiegel
hat“, meinte Carlo, „und die Scheibenwischer sind auch nur notdürftig
repariert.“
„Also bis nachher“, sagte Döbbel und
verließ die Halle.
Sein Porsche parkte zwischen zwei
Schuppen.
Niemand war in der Nähe.
Döbbel fuhr über die schmale Straße,
die mehr und mehr vom umliegenden Brachland vereinnahmt wurde. Nur
Schlaglöcher, nur Risse im Asphalt, Frostaufbrüche und überwucherte
Randstreifen. In Richtung DRINZL u. BREITLACHER wurde nichts repariert.
Döbbel fuhr zu den städtischen
Markthallen, parkte seinen auffälligen Wagen zwei Straßen entfernt, suchte sich
eine Telefonzelle und wählte die Rufnummer des Polizeipräsidiums.
Erst als er sagte, es beträfe das
Schulbus-Kidnapping, wurde er mit dem ranghöchsten Ordnungshüter der Stadt
verbunden.
Döbbel hatte sich einen Verzerrer in
den Mund geschoben. Seine Stimme klang jetzt beinahe außerirdisch. Etwa so, wie
man sich in Hollywood einen sprechenden Weltraumpapagei vorstellt, der auf
einem 1000 Lichtjahre entfernten Planeten lebt und von lustigen Weltraumkindern
mit Spezialfutter verhätschelt wird.
„Heh, Oberbulle“, quäkte Döbbel in den
Hörer, „ich gehöre zu den Kidnappern. Den Schülern geht es noch gut. Wenn Sie
die gesund zurückhaben wollen, dann tun Sie genau das, was ich Ihnen jetzt
sage. Klar?“
„Sprechen Sie!“ erwiderte der
Polizeipräsident.
„Das Lösegeld wird morgen mittag
übergeben. Morgen mittag. Wir bestehen nicht auf kleinen Scheinen. Es können
auch 500er und 1000er dabei sein. Natürlich nicht nur! Stellt die Kohle so
zusammen, daß sie in einen Rucksack paßt: drei Millionen.“
„Habe verstanden. Und dann?“
„Wir wollen keinen Bullen und keinen
andern Kerl sehen. Ein Schüler soll das Geld übergeben. Nicht älter als 16 darf
er sein.“
„Nicht älter als 16“, wiederholte der
Polizeipräsident.
„Wehe, ihr folgt ihm. Wehe, ein Bulle
taucht auf! Denkt an die Schüler. Sie sind in unserer Hand. Es liegt an uns, ob
wir sie irgendwo eingesperrt lassen — dem Hungertod preisgegeben.“
„Nur das nicht! Wir gehen auf Ihre
Bedingungen ein.“
„Gut! Der Schüler kommt — nein, er muß
ein Fahrrad benutzen — kommt also zum Hauptbahnhof. Links vor dem Haupteingang
ist eine anrufbare Telefonzelle. Die anrufbare, klar?“
„Alles klar.“
„Dort steht er Punkt 14 Uhr. Und wartet
auf unseren Anruf.“
„Der Junge wird da sein.“
„Ich kann nur warnen: Wenn er in
irgendeiner Weise von Bullen beschattet wird, lassen wir uns nicht blicken.
Aber dann sehe ich schwarz für die Schüler. Ende.“
*
Klößchens Eltern hatten angerufen bei
Margot Glockner, waren entsetzt über das Verbrechen und fragten, ob Gaby unter
den Geiseln sei.
Wenig später meldeten sich Viersteins, die
Eltern von Karl.
Das Dritte Programm des örtlichen
Radiosenders verbreitete die Nachricht von der Entführung. Und um 14 Uhr war
auch das Fernsehen mit der sensationellen Meldung dabei.
Die Jungs blieben bei Frau Glockner.
Sie hatte für alle eine Suppe gekocht,
aber selbst Klößchen fehlte heute der übliche Appetit.
Tim zermarterte sich den Kopf: Wer
waren die Kidnapper? Wo versteckten sie sich? Gab es irgendwo den Anfang einer
Spur?
Ohne
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