Lösegeld Für Einen Toten
Sohn nach Shrewsbury gezogen war, obwohl ihr sechs weitaus angenehmere Häuser zur Verfügung standen. Hugh hätte ihr angesichts der kummervollen Umstände gern die Gastfreundschaft seines eigenen Stadthauses angeboten, doch die Dame hatte zu viele Bedienstete, um dort bequem unterzukommen und zog die Strenge ihrer kalten, doch geräumigen Gemächer im Turm vor.
Ihr Gatte war daran gewöhnt, sie allein zu benutzen, wenn seine Pflichten ihn zwangen, in der Garnison zu bleiben. Sie sehnte sich nach ihm und sorgte sich um ihn und gab sich damit zufrieden, an dem Ort auszuharren, der ihm gehörte, so ungemütlich er auch war.
Melicent liebte ihren kleinen Bruder und haderte nicht mit den Gesetzen, auf Grund derer ihr Bruder den ganzen Besitz ihres Vaters erben würde, während ihr nur eine bescheidene Aussteuer blieb. Sie hatte sogar schon ernsthaft erwogen, den Nonnenschleier anzulegen und ganz auf das Prestcote-Erbe zu verzichten, es zog sie zu Altären, sie liebte Reliquien und Opferkerzen, und sie war klug genug, um zu wissen, daß sie beinahe eine Berufene war. Allerdings kam die Offenbarung nicht mit jener überwältigenden Kraft, mit der sie eigentlich hätte kommen müssen.
Zum Beispiel die schockierende Verwunderung, die Freude und Neugier, die sie innehalten und im Schritt zögern ließ, als sie durch den Bogengang zum Außenwall ging und instinktiv zur Seite sah, wo sie jemand in ihrer Nähe spürte, der sie aufmerksam beobachtete: der walisische Gefangene, dessen verblüfften Blick sie erwiderte. Es war nicht seine Jugend und sein gutes Aussehen, sondern der gebannt auf sie gerichtete Blick, der ihr bis ins Herz drang.
Sie hatte sich die Waliser stets voller Furcht und Mißtrauen als barbarische Wilde vorgestellt, und plötzlich stand da dieser schmucke und ansehnliche junge Mann, dessen Augen sie blendeten und dessen Wangen brannten, als er ihren Blick erwiderte. Sie dachte viel an ihn. Sie erkundigte sich nach ihm, vorsichtig nur, um das Ausmaß ihres Interesses zu verschleiern. Und am Tag, als Cadfael sich zu seiner Suche nach Owain Gwynedd aufmachte, sah sie Elis aus einem Fenster ihrer Gemächer. Er war unter den jungen Männern der Garnison schon fast akzeptiert, hatte sich bis zur Hüfte entkleidet und stellte sich einem Ringkampf mit einem der besten Schüler des Waffenmeisters im Innenhof. Für den jungen Engländer, der ihm an Gewicht und Reichweite überlegen war, stellte er keinen Gegner dar und schlug so schwer auf den Boden, daß sie in verzweifeltem Mitgefühl den Atem anhielt. Aber er kam lachend und atemlos wieder auf die Füße und klopfte dem Sieger freundlich auf die Schulter.
Nichts war an ihm - keine Bewegung und kein Blick -, das sie nicht edel und anmutig gefunden hätte.
Sie nahm ihren Mantel und huschte über die Steintreppe hinunter in den Bogengang, durch den er auf dem Weg zu seiner Kammer im Außenwall kommen mußte. Es dämmerte bereits, und alle stellten ihre Arbeit und ihre Übungen ein, um sich für das Abendessen in der Halle bereit zu machen. Elis kam, leicht humpelnd wegen einiger neuer Prellungen, aber pfeifend durch den Bogengang - und der gleiche köstliche Schauder, der sie neulich veranlaßt hatte, den Kopf zu wenden, bewirkte bei ihm eine ähnliche Verzauberung.
Die Melodie erstarb zwischen seinen geöffneten Lippen.
Er blieb wie angewurzelt stehen und hielt den Atem an. Ihre Blicke verflochten sich, sie konnten sie nicht mehr voneinander lösen - allerdings versuchten sie es auch gar nicht.
»Mein Herr«, sagte sie, da sie den unregelmäßigen Klang seiner Schritte richtig gedeutet hatte, »ich fürchte, Ihr seid verletzt.«
Als er wieder atmete, durchlief ihn ein erneuter Schauder vom Kopf bis zu den Füßen. »Nein«, sagte er zögernd, wie im Traum. »Nein - nicht bis zu diesem Augenblick. Aber jetzt bin ich tödlich verwundet.«
»Ich glaube«, sagte sie erschüttert und schüchtern, »Ihr kennt mich noch gar nicht...«
»Ich kenne Euch«, sagte er. »Ihr seid Melicent. Und ich muß Euren Vater für Euch zurückkaufen - um einen Preis...«
Um einen Preis, um einen schrecklichen Preis, um den Preis, diese Vermählung der Blicke zu zerreißen, die sie aufeinander zutrieb, bis sie sich an den Händen nahmen...
3. Kapitel
Cadwaladr mochte auf dem Rückweg zu seiner Burg in Aberystwyth mit seiner Beute und seinem Gefangenen über die Stränge schlagen, doch nördlich davon hielt Owain Gwynedd streng auf Ordnung.
Cadfael und seine Eskorte hatten
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