Lösegeld Für Einen Toten
länger warten muß, als seine sterbliche Lebensspanne währt.
Sankt Gregor war vorbei, und Sankt Eduard der Bekenner und Sankt Benedikt standen bevor - es war Mitte März, der Frühling nahte, und vor den Menschen lagen Hoffnung und Wachstum. Eine gute Zeit. Cadfael hatte die Stunden, bevor Schwester Magdalena gekommen war, mit Umgraben und Jäten der Hälfte seines Minzebeetes verbracht, um Raum für das Wachstum des neuen, jungen Grüns zu schaffen und das Alte und Verfallene zu entfernen. Er verließ den Kapitelsaal mit einem Gefühl der Erneuerung, und zunächst war es bestenfalls eine milde Überraschung, daß Bruder Edmund noch zu ihm kam und mit der Haltung eines Bischofs etwas präsentierte, das auf den ersten Blick wie ein Bischofsstab aussah, das aber auf den Boden gestellt nicht höher war als seine Schultern und sich eindeutig als Krücke erwies.
»Dies fand ich in einer Ecke der Ställe. Sie gehört Anion!
Cadfael, er ist heute nicht zum Abendbrot gekommen, und er ist nirgends in der Krankenstation zu finden - nicht im Gemeinschaftsraum, nicht in seinem Bett und nicht in der Kapelle. Habt Ihr ihn heute irgendwo gesehen?«
»Nicht mehr seit heute morgen«, sagte Cadfael, indem er sich mühsam aus der friedlichen Stimmung der Bibellesung riß.
»War er denn beim Mittagsmahl?«
»Das war er, aber ich kann niemand finden, der ihn danach noch gesehen hat. Ich habe überall nach ihm gesucht und nach ihm gefragt, aber nichts weiter von ihm gefunden als dies hier, achtlos fortgeworfen. Anion ist verschwunden! O
Cadfael, ich befürchte fast, er ist vor seiner Todsünde geflohen.
Warum sonst sollte er fortlaufen?«
Es war schon eine ganze Weile nach der Abendmesse, als Hugh Beringar sein eigenes Heim betrat, mit leeren Händen und unzufrieden nach den vergeblichen Befragungen der Waliser. Vor sich sah er Bruder Cadfael mit Aline am Kamin sitzen. Der Bruder erwartete ihn mit düsterem Gesicht.
»Was führt Euch so spät zu mir?« fragte Hugh verwundert. »Wieder einmal ohne Ausgang unterwegs?« Das war schon öfter geschehen, und die Erinnerung an eine solche Expedition, vor den Tagen des strengen Abt Radulfus, war ein alter, heimlicher Scherz zwischen ihnen.
»Das bin ich nicht«, erwiderte Cadfael fest. »Ich habe eine unerwartete Nachricht, die selbst Prior Robert für so wichtig hielt, daß sie Euch sofort erreichen mußte. Wir hatten in unserer Krankenstation einen Mann namens Anion, der sich das Bein gebrochen hatte, inzwischen jedoch fast wieder bereit war, uns zu verlassen. Ich glaube nicht, daß der Name Euch viel sagt, denn nicht Ihr hattet damals mit seinem Bruder zu tun.
Aber Ihr erinnert Euch sicher an eine Prügelei in der Stadt, zwei Jahre ist es jetzt her, als ein Torhüter auf der Brücke ermordet wurde? Prestcote ließ den Waliser, der es tat, erhängen. Ob er es nun war oder nicht, und natürlich sagte er, er hätte es nicht getan... Sicher ist, daß er an jenem Abend sturzbetrunken war und wahrscheinlich selbst die Wahrheit nicht mehr wußte. Wie auch immer es sich zugetragen hatte, er wurde erhängt. Es war ein junger Bursche, der irgendwo aus der Nähe von Mechain heruntergekommen war, um auf dem Markt Felle zu verkaufen.
Nun, dieser Anion ist sein Bruder zur linken Hand, und zwischen den beiden gab es kein böses Blut, solange der Vater lebte. Sie lernten sich kennen und schätzen.«
»Wenn ich je davon wußte«, sagte Hugh, indem er sich ans Feuer setzte, »dann habe ich es vergessen.«
»Anion aber nicht. Er hat wenig geredet, aber man weiß, daß er seinen Groll genährt hat, und er ist Waliser genug, um Rache als seine Pflicht zu betrachten, sobald sich eine Gelegenheit dazu bietet.«
»Und was ist jetzt mit ihm?« Hugh musterte aufmerksam das Gesicht seines Freundes; er ahnte, was kommen würde.
»Wollt Ihr mir sagen, dieser Mann sei im Kloster gewesen, als man den Sheriff hilflos gebracht hat?«
»Das war er, und zwischen ihm und seinem Feind war nichts als eine halboffene Tür - wenn er ihn für einen Feind hielt, wie die Gerüchte besagen. Allerdings war er nicht der einzige mit einem Groll, so daß es keinen weiteren Beweis als diesen gibt, daß nämlich die Gelegenheit für ihn gekommen war. Aber seit heute abend gibt es noch etwas, das gegen ihn spricht: Er ist verschwunden. Er kam nicht zum Abendbrot, er ist nicht in seinem Bett, seit dem Mittagsmahl hat ihn niemand mehr gesehen. Edmund vermißte ihn beim Abendbrot und hat ihn seither gesucht, doch ohne eine
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