Löwenherz. Im Auftrag des Königs
ist dieser Freund? Auch ein Ire? Was habt Ihr ihm angedroht, wenn er uns nicht hilft?«, fragte Edith mit halbem Lächeln.
»Kein Ire.« Brion erwiderte Ediths Lächeln. »Und ihm muss man auch nicht drohen. Er nimmt seinen Glauben ernst.«
»Seinen Glauben?«
Brion blieb ihr eine Antwort schuldig. Stattdessen wandte er sich ab und beruhigte die aufgeregten Pferde. Edith blieb nichts anderes übrig, als sich in den Anblick Londons zu vertiefen und mit aller Kraft eine aufsteigende Beklommenheit zu verdrängen.
Brion O’Heneys Freund wartete schon am Nordtor auf die Neuankömmlinge: Ein hochgewachsener Mann drängelte sich durch die Menge und winkte heftig. Brion winkte zurück. Als sie ihn erreichten, umarmte der Mann den Tempelritter stürmisch. Auch für Edith und Robert hatte er ein freundliches Lächeln übrig, das sie erwiderten. Doch als er zu sprechen begann, war Edith sofort alarmiert, denn er hatte einen starken normannischen Akzent.
»Das ist Judah ben Isaac«, erklärte Brion. »Er kommt aus Paris und lebt seit vielen Jahren in London. Er zählt zu den berühmtesten Schriftgelehrten der Welt.«
»Ah«, machte Judah und errötete. »Was für ain’ Übertreibüng, Brioong! Dü solltest disch schämön!« Er dehnte den Namen des Tempelritters fast zur Unkenntlichkeit.
»Ihr seid Jude!«, staunte Robert.
»Natürlisch, Monseigneur. Und Ihr und Eure Schwestör seid main’ Gäste, ja? Isch bin sehr geehrt.« Er verbeugte sich.
Brion grinste. »Ich hab Euch ja gesagt, Judah nimmt seinen Glauben sehr ernst.«
»Die Gastfreundschaft«, sagte Judah, dessen Akzent mehr und mehr verblasste, je mehr er redete, »geht zurück auf unseren Stammvater Abraham. Obwohl er Knechte und Diener besaß, ließ er es sich nicht nehmen, drei Fremde, die zu seinem Zelt kamen, selbst zu bewirten. Uns ist geboten, stets dem Beispiel Abrahams nachzueifern.«
»Ich verlasse euch hier«, sagte Brion. »Ihr seid bei Judah in besten Händen; und die Verbindungen seiner Glaubensbrüder zum Königshof sind exzellent.«
»Die Krönungsfeierlichkeiten finden morgen statt«, erklärte Judah. »Eine jüdische Abordnung wird sich dort einfinden und König Richard Geschenke überreichen. Bei dieser Gelegenheit werde ich dafür sorgen, dass Ihr mit ihm sprechen könnt.«
»Wir sind mit dem Königshaus verwandt«, erklärte Robert in einem völlig unpassenden Anflug von Stolz. »Der König wird uns auf jeden Fall anhören, auch ohne fremde Hilfe.«
Judah lächelte freundlich. »Sicher, Monseigneur, sicher. Die Frage ist nur: Wann? Der König rüstet zum Aufbruch ins Heilige Land. Uns empfängt er morgen.«
Robert starrte betreten zu Boden. Edith reichte Brion die Hand. Sie musste den Wunsch unterdrücken, den Tempelritter zu umarmen. Er hatte in Kyme und auch nach ihrer Flucht so vieles für sie und ihren Bruder getan. Sie hatte das Gefühl, sich von einem geliebten Familienmitglied trennen zu müssen.
Brion drückte ihre Hand. »Lebt wohl, Lady Edith!« Robert boxte er kameradschaftlich gegen die Schulter. »Ihr auch, Lord Robert. Wenn Gott es will, werden wir uns wiedersehen.«
Judah ben Isaac schnippte mit den Fingern, und zwei Knechte, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatten, traten heran und nahmen Edith und Robert die Pferde ab.
Der Gelehrte führte seine jungen Gäste zu seinem Haus mitten in der Stadt. Beim späteren Gastmahl erfuhren sie seit ihrem Aufbruch von Kyme zum ersten Mal wieder, was es heißt, ein schützendes Dach über dem Kopf und ein gemütliches Bett zu haben.
19
D ie Kirchenglocken läuteten dröhnend, als Edith und Robert sich in Begleitung der jüdischen Abordnung auf den Weg zur Abtei von Westminster machten, wo die Krönung stattfinden sollte. Judah ben Isaac war bei Weitem der Jüngste unter den entsandten Juden. Alle Männer trugen wallende Bärte und langes Haar und fielen so inmitten der Schar meist glatt rasierter Angelsachsen und Normannen sofort auf.
Edith merkte gleich, dass man sie anders anschaute als gestern. Als sie mit Judah ben Isaac, der sich in Haar- und Barttracht nicht von den christlichen Londonern unterschied, unterwegs gewesen waren, hatte niemand groß Notiz von ihnen genommen. Heute aber ernteten sie misstrauische, ja geradezu feindselige Blicke.
»Da vorne hat jemand vor den Juden ausgespuckt«, flüsterte sie Robert zu, der neben ihr ging.
Der machte ein besorgtes Gesicht. »Er ist nicht der Erste«, flüsterte er zurück.
Edith wandte sich an Judah ben Isaac.
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