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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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Kinder dieses Mal vorfinden? Wenn sie überhaupt da waren. Bitte, Allah, lass sie da sein. Ohne sie kann ich nicht leben. Was würde ich nicht alles tun, um sie zurückzuholen und ihnen zu zeigen, dass ich sie liebe. Ich weiß nicht, was Abdullah ihnen über mich erzählt hat, aber sie sollen wissen, dass ich für sie da bin.
    Im Bus setzte ich mich extra auf einen der vorderen Sitze und ließ mich durch die Scheiben von der Sonne wärmen. Ich döste, träumte, wie ich als Kind die Pfirsiche aus Nachbars Garten geholt hatte, obwohl wir doch selbst welche hatten. Nie hatte mich einer dabei erwischt. Den Ort am Rande der Wüste erkannte ich sofort wieder. Ein Hafenstädtchen. Nur einmal war ich dort ausgestiegen, sonst immer mit dem Auto durchgefahren. Der Leuchtturm am Meer, der Gewürzmarkt, der Fischmarkt, das Dröhnen der Schiffshörner und die Möwen, die wie in Hamburg über dem hübschen kleinen Touristenhafen kreisten. Aber ich war viel zu aufgeregt, um das alles wahrzunehmen. Verschwitzt war ich aus meinen Tagträumen aufgewacht.
    Am Bahnhof stieg ich aus. Der Hof des Schwagers lag eine halbe Autostunde entfernt im Hinterland. Ich musste ein Taxi nehmen, eines von jenen gelben Autos, die nicht viel kosten. Wer in Tunesien ein Taxi besitzt, ist ein gemachter Mann. Jeder, der kein eigenes Auto hat, fährt Taxi. Ich nannte dem Fahrer die Adresse, mehr sprachen wir nicht miteinander. Einen halben Kilometer vor dem Haus bat ich ihn, anzuhalten. Ich wollte das letzte Stück des Wegs zu Fuß gehen. Entlang der weiß gekalkten Mauer, die das Anwesen umschloss. Ich kann gar nicht beschreiben, wie aufgeregt ich war. Ich versuchte mir meine Kinder vorzustellen. Jasin mit seiner Brille und den krausen Haaren, die sein Gesicht wie eine dicke Pudelmütze einrahmten, Amin in seinem Matrosenanzug, der ihm so gut stand. Und Amal, die Ernste mit ihrem traurigtrotzigen Blick? Sie wussten nicht, dass ich kommen würde.
    Ein Eselsfuhrwerk, das taufeucht geschnittene Kakteenblätter nach Hause kutschierte, begegnete mir. Ich grüßte nicht, obwohl das üblich ist auf dem Land. Je näher ich dem großen Tor kam, desto nervöser wurde ich. Gibt es eigentlich eine Steigerung für nervös? Mein Gesicht brannte, dauernd wischte ich mir meine feuchten Hände an der Hose ab. Ich spürte, wie meine Knie weich wurden. Wenn jetzt gleich die Hunde anfangen zu bellen, mache ich auf der Stelle kehrt, dachte ich. Ich drehte mich um, keiner sollte mich sehen.
    Die Versuchung umzukehren war groß, doch dann lehnte ich mich mit dem Rücken gegen die Mauer und rutschte hinunter bis zur Hocke. Der raue Verputz schob meine Jacke nach oben und kratzte meine nackte Haut wund. Das tat weh. Vor meinem inneren Auge tauchte das letzte Bild von Amal auf. Wie sie geschrien und geweint hatte, als ich vor drei Monaten nach Deutschland aufgebrochen war. Bis zur Wegbiegung hatte ich sie gehört, noch heute habe ich ihr Weinen im Ohr. Mein Rücken brannte. Verdiente Schmerzen, dachte ich. Dafür, dass ich meine Tochter alleine in Tunesien gelassen und dafür, dass ich mir meine Jungen vor meiner Nase weg hatte entführen lassen. Wie blöd war ich nur gewesen? Alles wollte ich jetzt wiedergutmachen. Meine Augen wurden feucht. Ich richtete mich auf, atmete tief aus und schlang mit beiden Händen mein Kopftuch zu einem Turban.
    Da sah ich meine Schwägerin aus dem Tor kommen. Links und rechts an der Hand ihre beiden Kinder, dahinter tauchten nacheinander Amin, Amal und Jasin auf. In dieser Reihenfolge, meine Tochter mit einem zu großen Kleid, das ich nicht kannte, die Haare wirr im Gesicht. Amin trug einen dunklen Burnus, wie ihn die Männer im Süden tragen, und hatte einen Stock in der Hand, Jasin war barfuß, seine spindeldürren Beine ragten aus knielangen Hosen, er machte ein paar Hüpfer und hielt seine kleine Schwester an der Hand.
    Darauf war ich nicht gefasst, ich war so aufgeregt, dass mir schwindlig wurde. Da waren meine Kinder, alle drei. Sie sahen mich nicht und kamen doch direkt auf mich zu. Ich stand wie angewurzelt, meine Kehle zugeschnürt. Die Worte, die ich mir noch fünf Minuten vorher zurechtgelegt hatte, hatten sich verflüchtigt wie Motten, wenn das Licht ausgeht. Ich wollte etwas sagen, brachte aber nichts heraus.
    Jetzt! Sie hatten mich gesehen, Jasin streckte seinen Arm nach mir aus – oder deutete er auf mich? Ungläubige Überraschung spiegelte sich in den Gesichtern der Kinder. Ich versuchte zaghaft zu lächeln, machte ein paar Schritte

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