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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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wusste genau, dass die Kinder hier auf dem Bauernhof mithelfen mussten und nicht viel zu essen bekamen.
    Aber ich konnte im Moment nicht mehr tun, als ihnen zu zeigen, dass ich sie nicht vergessen hatte. »Bleibst du jetzt hier?«, wollte Amal wissen und schmiegte sich an meinen Hals. Ich schaute zu meiner Schwägerin, sie zog die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen. Dann verschwand sie in die Küche, um Tee zu kochen. Ich wusste, was das hieß. Sobald ihr Mann nach Hause käme, würde er mich verscheuchen. Die Tränen schossen mir in die Augen, und plötzlich war es die kleine Hand von Amal, die mir das Kopftuch vom Kopf zog und in meinen Haaren wühlte, wie ich es sonst immer bei ihr getan hatte. »Nicht traurig sein, Mami«, sagte sie. »Ich verspreche dir, dass ich ganz fleißig in der Schule bin. Ich lerne schnell, und wenn ich fertig bin, komme ich zu dir.« Jetzt weinte ich erst recht. Diesen Moment werde ich nie vergessen. Sie wollte mich trösten wie eine Mutter. Dabei war sie doch erst knapp sechs Jahre alt.
    Raja brachte uns Couscous, das wir mit Fingern aßen. Wie früher, alle zusammen, ich kann mich nicht erinnern, dass hier je etwas anderes gekocht worden wäre. Es war gut, fast hätte ich vergessen, dass meine Zeit begrenzt war. »Abdullah hat verboten, dass du die Kinder besuchst und mit ihnen sprichst«, sagte Raja. – »Aber er hat sie mir weggenommen. Ich muss sie doch wenigstens sehen können« – »Ich weiß, dass du leidest und was du durchmachst. Aber ich kann nichts dagegen tun.« – »Warum soll ich keinen Kontakt zu meinen Kindern haben? Ich bin doch die Mutter.« – »Das bedeutet gar nichts, die Familie des Vaters zählt. Am besten wäre es, du ließest sie ganz in Ruhe.« – »Könntest du das?« – »Nein, natürlich nicht.«
    Ich ging mit den Kindern vor die Mauer auf die Straße. Das durften sie sonst nie. Wir spielten Reifen drehen. Aus einem Haufen Müll hatten die Jungen einen Eisenreifen hervorgezogen, ein krummes, verbeultes Ding, aber das trieben wir nun mit Stöcken den steinigen Weg rauf und runter. Einer nach dem anderen. Derjenige, bei dem der Reifen nicht umfiel, hatte gewonnen. Ein Spiel, das sonst nur Jungs spielen. Ich war selig, dass meine Kinder es mit mir spielten und auch noch ihren Spaß dabei hatten. Sogar Amal, die immer so ernst war, lachte laut schallend, so vergnügt hatte ich sie selten gesehen.
    Wieder zurück auf dem Hof, kam gegen Abend Abdullahs Bruder von der Arbeit nach Hause. Ein schmächtiger Mann, dem das Taxifahren den Rücken gebeugt hatte. Er schimpfte, als er uns im Wohnzimmer sitzen sah. Aber das hatte ich erwartet, ich tat gleichgültig, als wäre ich nicht gemeint. Wütend blickte er mich aus seinen grünen Augen, wie auch mein Mann sie hatte, an: »Was tust du hier? Scher dich heim zu deiner Familie.« Gleichzeitig fuhr er seine Frau an: »Wie konntest du sie nur hereinlassen? Sie hat kein Besuchsrecht. Wer hat dir das erlaubt? Mein Gott, du weißt doch genau, dass Abdullah das nicht will. Das ist gegen die Abmachung.« Er packte Raja am Arm und bugsierte sie wie eine Puppe aus dem Raum. Ich solle mich sofort aus dem Staub machen, schrie er mich an. Wie ich es nur habe wagen können, ins Haus zu kommen?
    Ich stand auf, eine unbekannte Wut überkam mich. Ich hatte nichts mehr zu verlieren! Sollte er doch toben, wie er wollte. Ich schaute auf meine Kinder, die uns ängstlich beobachteten, und verschränkte provozierend die Arme vor der Brust. Der Tag mit ihnen war zu schön gewesen, weil ich ihnen endlich zeigen konnte, wie sehr ich sie liebte. Und sie mich! Ich würde mich nicht vor ihren Augen von meinem Schwager hinauswerfen lassen. Angst hatte ich keine vor ihm, nicht mehr.
    Aber es tat mir leid, dass die Kinder den Streit mit anhören mussten, deshalb sagte ich so ruhig wie möglich: »Du kannst mich jetzt nicht raus in die Nacht schicken. Es ist zu spät, ich bekomme kein Taxi mehr, und es fährt auch kein Bus, der mich heute Abend noch nach Hause bringen könnte.« Dann setzte ich mich wieder und zog Amal zu mir. Sofort legte sie ihren Kopf auf meine Knie. Sie war warm, und ich fühlte mich sicher. »Ich bleibe bis morgen«, sagte ich, »egal ob es dir passt oder nicht.« Da merkte der Schwager, dass er diese Runde verloren hatte.
    Er stieß noch ein paar böse Verwünschungen aus, schlug mit der flachen Hand an die Wand und schrie: »Aber deine Söhne schlafen nicht bei dir. Bilde dir ja nicht ein, dass du sie anfassen

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