Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
Vom Netzwerk:
wollen, aber keiner sei ans Telefon gegangen.
    Meine Stimme versagte immer wieder, als ich ihm nun erzählte, dass Abdullah unsere Söhne zum zweiten Mal entführt habe. »Baba, ich weiß nicht, wo sie sind. Sind sie in Tunesien? Ich dachte, sie gehen zur Schule, aber nachmittags kamen sie nicht zurück. Abdullah sagte mir, dass er sie nach Tunesien geschickt habe. Seitdem habe ich nichts mehr von Amin und Jasin gehört.« Ich merkte, wie mein Vater am anderen Ende still wurde, er schwieg. »Tochter … «, sagte er dann und brach wieder ab, als ob er überlege. »Baba, was ist? Sag was, bitte.« – »Abdullah ist in Tunesien. Er war gestern hier und hat auch Amal geholt. Alle drei Kinder sind bei seinem Bruder auf dem Hof.« – »Nein, das ist nicht wahr«, rief ich. »Nicht auch noch Amal.« – »Doch, es tut mir leid, so leid. Aber wir konnten nichts dagegen tun. Abdullah kam und sagte, dass du nicht in der Lage seist, dich um die Kinder zu kümmern. Er kam mit einem gerichtlichen Beschluss, wo immer er ihn so schnell herbekommen hat. Er habe das Sorgerecht, sagte er, schwarz auf weiß. Im Übrigen habe er schon die Scheidung eingereicht. Wenn die durch sei, gehörten die Kinder sowieso ihm, und Amal solle mit ihren Brüdern aufwachsen.« – »Warum hast du sie ihm gegeben?« – »Ich konnte nichts dagegen tun.«
    Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Jetzt hatte ich alles verloren. Und keine Kraft mehr, mich zu wehren, nicht gegen diesen Mann. Abdullah hatte das Sorgerecht und ich nichts. Meine Familie hatte machtlos zusehen müssen, wie er meine Tochter in sein Auto setzte und mitnahm. Es musste furchtbar für sie gewesen sein. Erst wird sie von der Mutter allein gelassen, dann kommt der Vater, reißt sie aus ihrer gewohnten Umgebung und bringt sie in die verwahrloste Hütte zu Tante und Onkel.
    Ich war einfach nur still. Dass ich für die Kinder kämpfen müsse, hörte ich meinen Vater sagen, jetzt erst recht. Doch seine Worte zogen wie Landschaften am Zugfenster an mir vorbei. »Komm nach Tunesien«, sagte er. »Was hält dich jetzt noch in Deutschland?« – »Nichts, aber ich habe kein Geld für den Flug. Ich habe überhaupt kein Geld, woher denn. Ich habe keine Kinder, kein Geld, keinen Mann und keine Heimat mehr. Nichts mehr.«
    Ich wollte nur noch alleine sein. »Ich komme morgen mit Essen vorbei«, rief mir Karimah hinterher, es war ihre Art, mich zu trösten. Ich irrte durch die Straßen. Plötzlich bemerkte ich, dass ich auf dem Weg zur Freundin meines Mannes war. Ich kannte die Adresse, dort gewesen war ich noch nie, aber es war nicht weit. Abdullahs Auto stand vor der Tür. Das Telefon lag auf dem Rücksitz. Ich stieg die Treppen hoch zur Wohnung von El Hemla, klingelte. Sie öffnete, ich fragte, wo Abdullah sei. Wisse sie nicht, war ihre Antwort. Ohne ihr eine Szene zu machen, kehrte ich um.

Wieder in Tunesien
    Zwei Monate war es her, dass mich mein Vater nach Hamburg geschickt hatte, jetzt sollte ich wieder zurück nach Tunesien kommen. »Komm heim zu deiner Familie«, hatte er am Telefon gesagt. »Was hast du noch in Deutschland zu suchen? Wir kämpfen um die Kinder.« Was war das für ein absurdes Spiel, das die Männer da mit mir trieben? Ich kam mir wie eine Spielfigur vor, die nach Lust und Laune bewegt wird. Wenn die Spieler nur wenigstens wussten, was sie taten. Ich wusste es nicht.
    Wieder zu Hause in Harburg, legte ich mich sofort ins Bett. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich dort blieb – Stunden oder Tage. Ich hatte die Gardine ein Stück weit zurückgezogen, lag auf dem Rücken, die Bettdecke bis zum Kinn, starrte auf den Fensterausschnitt. Meine kleine Draußen-Welt, von der ich so gut wie nichts kannte.
    Im Moment wollte ich nie wieder aufstehen. Aus dem grauen Himmel vor dem Fenster rieselten Schneeflocken. Weiß und leicht. Auf dem Asphalt würden sie sich schnell in eine eklige graubraune Soße verwandeln. Ich fror, konnte mich aber nicht entschließen, Feuer zu machen. Wenn ich mir Tee kochte, hüllte ich mich in die Bettdecke ein wie in einen Mantel. Trotzdem war es eisig kalt.
    Karimah kam vorbei und brachte mir zu essen. Als ob ich krank sei. Widerwillig nahm ich einen Löffel und zermatschte gekochte Kartoffeln und Zucchini. Vom Spielplatz her hörte ich die Stimmen der Kinder. Wie Hohngelächter tönte es in meinen Ohren. Ich verstand Abdullah nicht. Er musste alles von langer Hand geplant haben. Er hatte von einem Neuanfang gesprochen, obwohl er vorhatte, die

Weitere Kostenlose Bücher