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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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konnte nicht.« – »Papa hat uns gesagt, du willst nicht mit nach Tunesien kommen«, mischte sich nun auch Jasin ein. Und auf einen Schlag hatte ich alle drei Kinder an meiner Hand, sie drängten sich um mich und bestürmten mich mit Fragen. Ich war so durcheinander, dass ich nur die Hälfte verstand, aber ich war glücklich. Nie hatte ich mich ihnen inniger verbunden gefühlt als jetzt.
    Das große Eingangstor quietschte und hing schräg in den Angeln. Es war nicht leicht zu öffnen. Die Kinder drückten sich dagegen, dann überquerten wir in fünf Schritten das heruntergekommene Grundstück bis zum Haus. Kein Platz zum Spielen, dachte ich, nur Müll, alte verrostete Eisenarmierungen, Betonschrott, am Rand stachelige Kakteen, in denen sich Abfall verfangen hatte. Die Gräser, die zwischen den Betonplatten wucherten, waren windzerzaust.
    Die Kinder zerrten mich ins Wohnzimmer, sie wollten erzählen. Dass der Vater ihnen Geld aus Deutschland schicken würde und ob ich das jetzt auch tun wolle. Warum ich nicht gleich mitgekommen sei? Dass die Lehrer in der Schule viel strenger seien und dass sie geschlagen werden. Mir kamen die Tränen. Ich drehte mich weg, ich wollte nicht, dass sie mich so sahen, und schaute auf die kahlen Wände, die braun verputzt waren. Kein Bild, kein Foto, keine Plastikblume im Zimmer, alles war grob und freudlos. Auf dem Boden lagen Matratzen ohne Überzug. Wie hielten es die Kinder nur aus hier?
    Vom Flur her hörten wir die Schwester meines Mannes lamentieren. »Was hat Esma hier zu suchen? Hat Abdullah nicht gesagt, dass wir ihr das Haus verbieten sollen? Was will sie von den Kindern?« – »Sie möchte sie nur sehen«, antwortete meine Schwägerin. »Aber sie schadet ihnen. Sie ist keine Mutter, anstatt sich um die Kinder zu kümmern, treibt sie sich herum. Das gehört sich nicht für eine verheiratete Frau. Die Kinder brauchen eine strenge Hand wie bei uns.« Ich sah sie nicht und hatte deshalb auch keinen Grund, ihr Rede und Antwort zu stehen. Sie kam nicht herein, vielleicht musste sie zu den Tieren. Ich war froh darüber.
    Mein Schwager war nicht im Haus, deshalb hatte uns Raja mitnehmen können. Als Taxifahrer hatte er alle Hände voll zu tun. Es war die Zeit im Frühjahr, in der die ersten Touristen von der tunesischen Küste aus in die Wüste gebracht werden wollen. Die Kinder und ich zogen unsere Schuhe aus, und wir ließen uns auf die Matratzen fallen, alle drei auf meinem Schoß. Wie dünn sie waren! »Bekommt ihr auch genug zu essen?«, fragte ich. Sie nickten, nur nicht so viel Süßigkeiten wie in Deutschland. Alle redeten durcheinander, bis ich endlich fragte: »Wie gefällt es euch hier in Tunesien? Bei der Tante und dem Onkel? Mit den Cousins?« – »Ganz gut«, antwortete Jasin und drehte sich weg.
    Ich wusste, dass das nicht stimmte. Mein Schwager war aus dem gleichen Holz geschnitzt wie mein Mann. Er prügelte, auch die Kinder. Nicht umsonst hatte Abdullah die Kinder gerade dorthin gebracht. Ich strich ihnen über die Köpfe. Scheu wie Katzen wichen sie aus, um sich im nächsten Moment noch mehr an mich zu drängen. »Und die neue Schule?«, fragte ich. »Wir lernen jetzt Französisch«, rief Amin, »ganz toll.« Da konnte auch Amal mitreden. Immerhin lernte sie schon länger als ihre Brüder. Stolz erzählte sie, dass sie schon viel besser Französisch spreche als Jasin und Amin. »Und besser Arabisch schreiben kann ich auch.«
    Meine armen Jungs, sie mussten alles neu lernen. Bisher waren sie ja nur in Deutschland zur Schule gegangen. »Farid, du weißt schon, dein türkischer Freund aus Hamburg, lässt dich grüßen. Ich soll dir sagen, dass er dich vermisst«, sagte ich zu Amin. Ich log, ich hatte Farid gar nicht gesehen, aber irgendwie wollte ich meine Kinder daran erinnern, dass ihr eigentliches Leben in Hamburg stattfand. Was ihre Schulfreunde dort wohl dachten? Bestimmt wurden die Jungen vermisst. Ob Abdullah sie an der Schule abgemeldet hatte? Erst jetzt dachte ich daran.
    »O ja, mir fehlt Farid auch«, antwortete Amin. »Aber sag ihm bitte, dass ich im Moment nicht kommen kann, weil ich nicht mehr bei meinen Eltern lebe. Sie müssen beide für uns arbeiten und können sich nicht um uns kümmern.« Das hatte ihm Abdullah also erzählt. Wie vernünftig und verständnisvoll mein Großer schon war. Trotzdem drehte sich mir der Magen um, als ich diese Ausrede hörte. Ich nahm Amin in den Arm und knuffte ihn. Er war so zerbrechlich mit seinen zehn Jahren. Ich

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