Loewenmutter
zu schildern, so muss ich es eben tun. Muss alles geben. »Bonjour, Monsieur le Procureur«, grüße ich auf Französisch. Ich bleibe neben einem Stuhl stehen und blickte meinem Gegenüber, der sich inzwischen nach vorne gebeugt hat, direkt in die Augen. Er mustert mich. Ich muss seriös und glaubwürdig auf ihn wirken. Langer schwarzer Rock, rote Bluse, schwarz-weißes Wolljackett. Um meinen Kopf habe ich ein weißes Tuch zu einem Turban geschlungen, darüber eine Sonnenbrille gesteckt. Ich weiß genau, dass es von meinem Auftreten abhängen wird, ob ich als geschiedene Frau ernst genommen werde oder nicht.
»Salam«, grüßt mich der Staatsanwalt auf Tunesisch, während er seinem Kollegen einen Blick zuwirft, der heißt: Mach dich bereit. »Bist du nicht Abdelhamids Tochter, die in Deutschland lebt?« – »Ja, ich lebe in Deutschland. Aber meine Kinder leben hier – ich würde sie gerne zu mir holen.« – »Was ist mit ihnen?« – »Die Akte müsste hier liegen, schon fast zwei Jahre lang. So lange vermisse ich meine Kinder schon. Denn mein Exmann hat sie aus Hamburg entführt und sie bei seinem Bruder in Tunesien versteckt. Er sagt, sie gehören zu seiner Familie. Aber ich will das Sorgerecht für sie haben und sie mit nach Deutschland nehmen. Kinder gehören zu ihrer Mutter, oder?«, sprudle ich hervor und lasse mich nicht mehr stoppen. »Vor bald zwei Jahren habe ich das Sorgerecht beantragt, aber bis heute hat sich nichts getan … « – »Moment, Moment, wie heißen denn deine Kinder?« – »Amin, der ist jetzt fast zwölf Jahre alt, Jasin ein Jahr jünger und meine süße Amal. Sie ist schon sieben Jahre alt. Schauen Sie doch bitte in Ihrer Akte nach.« Doch der Staatsanwalt macht keine Anstalten aufzustehen und zu suchen, sondern fragt ungläubig:. »Warum sollten wir bitte schön zwei Jahre lang deinen Fall nicht behandeln?« – »Das frage ich mich auch. Und meinen Kindern geht es schlecht, aber ich darf sie nicht einmal sehen … « – »Immer der Reihe nach«, unterbricht mich da der Staatsanwalt und streckt mir seine Hand bremsend über den Schreibtisch entgegen. »Und vor allem so, dass der Schreiber mitschreiben kann.« Bei diesem Satz nickt er seinem Mitarbeiter zu, der meine Satztiraden mit einem gleichmäßigen Schreibmaschinengeklapper begleitet.
»Sagtest du nicht, dass du geschieden bist?« – »Doch, aber … « – »Eine geschiedene Frau geht zu ihren Eltern zurück. Die Kinder bleiben beim Vater … « – »Weiß ich. Aber haben Sie mir nicht zugehört? Die Kinder leben nicht bei ihrem Vater, sondern bei der Familie des Onkels. Und dort geht es ihnen schlecht. Sie bekommen wenig zu essen, dürfen nicht spielen, gehen kaum zur Schule. Wenn Sie wollen, schicken Sie jemanden hin und überprüfen Sie, was ich sage … « – »Wo sind die Kinder denn?« – »Nicht weit vom Meer, im Süden, auf einem Bauernhof.« – »Diese Region fällt nicht in unser Zuständigkeitsgebiet. Da musst du schon einen Kollegen von dort damit beauftragen, das zu überprüfen.« – »Kann ich doch nicht, da ich nur eine Woche auf Urlaub hier bin. Ich arbeite, um für meine Kinder sorgen zu können. Hier bitte, meine Papiere. Ich habe alles: Wohnung, Telefon, Arbeit, ein Bankkonto. Es fehlen mir nur meine Kinder. Sagen Sie selbst, Kinder gehören doch zu ihrer Mutter?« Nun erst ziehe ich den Stuhl, neben dem ich die ganze Zeit gestanden habe, zurück, setze mich und sehe den Staatsanwalt erwartungsvoll an. »Das kommt darauf an … « – »Sie müssen mir glauben, ich war eine gute Mutter und werde eine gute Mutter sein.« – »Glaube ich dir ja. Sonst würdest du jetzt nicht um die Kinder kämpfen. Aber sag, warum bist du nach der Scheidung nicht bei deinen Eltern geblieben?« – »Weil ich dort nichts mehr zu suchen habe. Soll ich meinem Vater auf der Tasche liegen, wenn ich selbst arbeiten kann?« – »Und jetzt willst du das Sorgerecht?« – »Ja, weil ich selbständig bin. Mein Exmann kümmert sich doch gar nicht um die Kinder. Sie leben abgeschieden auf dem Land. Ohne richtige Schule, ohne Mutter und ohne Vater. Ich dagegen würde für sie sorgen, gut sorgen.« – »Willst du sie mit nach Deutschland nehmen?« – »Ja. Dort können sie bei mir leben, ich werde sie auf eine gute Schule schicken, und ich schwöre beim Koran: Sie werden es später leichter haben als wir! Das ist die Wahrheit. Sagen Sie selbst, wäre es nicht besser, sie würden bei mir leben?« – »Doch!«, sagt der
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