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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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Tränen füllten. Er hatte es ernst gemeint, und ich hatte ihm wehgetan.
    Er passte nicht in mein Leben, trotzdem rief er Gefühle in mir wach, die ich noch nie gespürt hatte und die ich auch nicht beantworten konnte. Denn Markus zeigte mir Gefühle, die es in meinem vorigen Leben nicht gegeben hatte. Liebe, Vertrauen, all die großen Emotionen. Ich wusste nicht, was das ist und wie es sich anfühlt. Liebe war in meiner arabischen Erziehung tabu gewesen und hatte für mich als Frau weder existiert noch war sie erlaubt. Noch war ich nicht so weit, sie zu verstehen.
    Aber Markus ging auf alles ein und ließ sich auf alles ein, was ich wollte. Gleich am nächsten Tag fragte er in einer Buchhandlung nach einem Koran auf Deutsch. Er hat ihn gelesen, las mir sogar laut daraus vor. Und bedrängte mich. Da bat ich einen Arzt aus Palästina, den ich kannte, die Beschneidung vorzunehmen, und ein paar Tage später meldeten wir uns bei einem Scheich in der Moschee zur Beglaubigung an. Alles ganz unspektakulär. In Jeans und T-Shirt, ohne großes Tamtam, wir zogen nur unsere Schuhe aus. Wir legten dem Scheich unsere Ausweise vor. Aus Markus wurde Mohamed, und dann leierte der Scheich seinen Spruch herunter: »Im Namen Allahs traue ich euch … « Nichts weiter. Unsere Verbindung war beglaubigt, auch wenn wir nicht offiziell verheiratet waren.
    Markus tat alles für mich, ohne dass ich etwas für ihn tat. Als wir aus der Moschee kamen, überraschte er mich mit einem silbernen Anhänger. Er nahm mich mit zu seinen Freunden und stellte mich ihnen als die Liebe seines Lebens vor. Ich jedoch hatte Hemmungen, mich öffentlich zu meinem deutschen Mann zu bekennen. Keinem meiner Bekannten erzählte ich von unserer Verbindung, auch nicht meiner Familie. Ich weigerte mich sogar, mit ihm in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen, und es dauerte lange, bis er mich berühren durfte. Wie ein heimlicher Liebhaber war er für mich.
    Nur wenig von dem, was er mir gab, konnte ich zurückgeben. Aber wie auch? Ich konnte nicht anders. War noch traumatisiert von Abdullahs Schlägen und Gemeinheiten, und in Gedanken war ich ständig bei Amin, Jasin und Amal. Die wollte ich aus Tunesien holen, nichts anderes, keinen neuen Mann und schon gleich gar keine weiteren Kinder. Markus’ Liebe tat meiner Seele gut, ohne dass ich darauf antworten konnte. Ich war nicht frei. Und bevor ich merkte, dass ein Funke übergesprungen war, ist Markus eines Tages weggeblieben und nicht mehr wiedergekommen.

8.
    »Flug Nummer 228 aus Tunis
ist soeben gelandet«
    Ich hatte nicht den Eindruck, dass irgendjemand außer mir Interesse am Fortgang meines Sorgerechtsprozesses hatte. Im Herbst 1991 hatte ich den Antrag gestellt. Jetzt war Frühjahr 1993, und noch immer rührte sich nichts. Der Prozess war nicht nur eingeschlafen, sondern irgendwo auf der Strecke geblieben. Gegen jeden meiner Anträge legte der Anwalt meines Exmannes Widerspruch ein, und der Prozess wurde von einem Vierteljahr aufs nächste vertagt. Die rechneten wahrscheinlich damit, dass ich zurückzog. Oder fehlte es am notwendigen »Kleingeld«?
    Ich musste etwas unternehmen. Im März nahm ich zwei Wochen Urlaub, um nach Tunesien zu fliegen und mein Anliegen selbst bei Gericht vorzutragen. Vom Flughafen aus nahm ich den Bus nach Hause. Die Bäume standen starr, und die Tamarisken blühten rosa an den Straßenrändern, aber ich hatte keinen Blick dafür. Händler reichten mir kleine Jasminsträußchen durch die Tür, wenn der Bus an den Haltestellen anhielt. Ohne zu handeln, bezahlte ich und sog den Duft in mich ein, den ich so lange vermisst hatte.
    Nach einer stürmischen Begrüßung mit meiner Mutter, zu der sie von ihrem Platz am Herd aufgesprungen war, wie jemand, der zum Leben erwacht, wurde ich ausgefragt: Wo und wie ich jetzt alleine so wohne, was ich arbeite und wie viel ich verdiene. Für sie war es unvorstellbar, dass ich als Frau auf eigenen Beinen stand und für mein Auskommen arbeitete und Geld verdiente. Ein ums andere Mal schüttelte sie den Kopf, sodass ihr immer wieder die Tücher ins Gesicht rutschten und sie alles zurechtrücken musste. »Kind, wer kümmert sich jetzt um dich?«, fragte sie, und wenn ich antwortete »Ich selbst! Ich bin mein eigener Herr und muss keinem Mann mehr gehorchen!«, streichelte sie mir anerkennend über die Wange. Mit ihrer Hand reichte sie nur knapp zu mir hoch. So klein war sie, das hatte ich früher nie bemerkt. Aber jetzt war sie aufgeregt und nervös wie ein

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