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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter
Autoren: Esma Abdelhamid
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den Straßenschildern war anders, eckige Zeichen, die ich noch nie vorher gesehen hatte. Die Bäume waren anders, die Häuser waren anders, hoch mit dunklen Fensterhöhlen, die uns Ankömmlinge anstarrten. Wüst und unheimlich. Die Farben bleicher, das Rot der Hausdächer, das Grau der Brücke, die sich über die Stadt spannte. Die Autolawine auf der vielspurigen Hafenstraße war anders, dunkel, bedrohlich und breit. Auch die Gerüche waren anders, und die Menschen waren anders.
    Wenn nur auch mein Mann sich verändern würde! Wenn er plötzlich aufspringen und laut rufen würde: »Was habe ich bloß für eine schöne, nette, liebe Frau!« Aber er sprang nicht auf. Er blieb sitzen, er blieb derselbe. Er klammerte seine Finger ums Lenkrad, das mit Kunstleder umwickelt war, bis seine Knöchel weiß wurden. Und bahnte sich aggressiv seinen Weg aus dem Hafen. Unsere neuen Bekannten hinterher. Auf die Autobahn. Wieder betrachtete ich Abdullah von der Seite: Er wirkte angestrengt. Aber hübsch mit seinen hohen Backenknochen und den eingefallenen Wangen. Seine schwarzen Haare fielen ihm buschig in die Stirn. Die starken Augenbrauen, seine glasklaren grünen Augen. Warum ist er nur so unfreundlich zu mir? Was habe ich ihm getan? Ich würde viel tun, um ihn glücklich zu machen, aber er behandelt mich wie ein lästiges Insekt – abgesehen vom Bett – uninteressant für ihn. Ein Werkzeug bestenfalls.
    Dieser blöde Gurt nagelte mich fest. Wenn ich wenigstens wüsste, wie lange wir noch zu fahren hatten. Waren es Stunden oder Tage? »Wie weit ist es noch bis Hamburg?«, hörte ich mich plötzlich fragen. Die Worte waren aus mir herausgebrochen, weil ich das Schweigen nicht mehr länger ertrug. »Nimm dir eine Landkarte aus dem Handschuhfach und schau selbst«, erwiderte er. Als ob ich wüsste, was das ist: eine Landkarte. Lesen konnte ich sie sowieso nicht. Trotzdem drückte ich auf den silbernen Knopf vor mir.
    Doch noch bevor ich ins Fach hineingreifen konnte, hatte sich Abdullah zu mir herübergebeugt und streckte seine Hand aus. Den Blick auf die Straße gerichtet, suchte er darin herum. Um schließlich keine Landkarte, sondern ein Foto herauszuziehen. »Da, schau her«, sagte er und hielt mir das Bild zwischen zwei Fingern vors Gesicht. Seine Stimme klang rauchig. »Siehst du das kleine Mädchen? Ist meine Tochter – hübsch, nicht?« Ich wich zurück. Nein, das konnte nicht sein Ernst sein! Wir waren gerade mal vier Wochen verheiratet, da präsentierte er mir eine kleine Tochter mit einer anderen Frau? Nebenbei, einfach so, auf der Fahrt durch Italien nach Deutschland? Ich war schockiert und brachte keinen Ton über die Lippen.
    Demütigt er mich nicht schon durch sein Desinteresse genug, jetzt hat er auch noch ein Kind. »Mit einer Deutschen … «, sagte er. »Dein Kind …?«, fragte ich ungläubig, obwohl es keinen Zweifel daran gab. Mir wurde heiß, schon wieder schossen mir die Tränen in die Augen. Das Mädchen hatte seine dunklen lockigen Haare, seine Augen, seine Nase, seinen schmalen Mund, sein Gesicht. Aber es lächelte, was er nie tat.
    Abdullah schien nicht zu bemerken, wie weh er mir mit diesem unerwarteten Geständnis tat. Vielleicht war es ihm auch egal, ich glaube, er war sogar stolz auf sein Mädchen und wollte vor mir angeben. »Hör auf rumzuheulen«, sagte er barsch. Und zum ersten Mal, seit wir zusammen waren, erzählte er drauflos. Dass die Mutter des Kindes aus Ostdeutschland komme. Dass sie ihn aber kürzlich verlassen habe, weil er sie nicht heiraten wollte. Konnte er nicht, er war ja Esma versprochen. »Soll sie bleiben, wo der Pfeffer wächst«, sagte er, dafür würde er seine Tochter nun eben nicht mehr besuchen, und den Unterhalt werde er auch nicht für sie bezahlen. Wenn die Tochter wenigstens ein Sohn gewesen wäre. »Aber Söhne kann ich nun ja jede Menge mit dir machen«, sagte er lachend und starrte wieder geradeaus. Ich zitterte. Das war der Gipfel an Demütigung! Wusste mein Vater davon? Ob er mich ihm dann immer noch zur Frau gegeben hätte? Ich ballte die Hände, die in meinem Schoß lagen, zu Fäusten und richtete mich so gerade auf, wie es nur ging. Ich wollte nicht leiden, auch kein Selbstmitleid. Vermutlich hätten auch eine andere Frau und ein Kind meinen Vater nicht davon abgehalten, Abdullah auszusuchen. Mein Großvater hatte drei oder vier Frauen mit Kindern gehabt, und mein eigener Vater hatte vor unserer Mutter einen Sohn mit einer anderen Frau gezeugt. Männer konnten
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