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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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vorwärts. Ein paar Leute saßen um eine Eckbank. Denen streckte ich nun das leere Hefepapier, das ich in der Hand hielt, entgegen: »Bitte«, sagte ich, ein Wort das ich auf der Autobahnraststätte aufgeschnappt hatte. Sie schauten mich an, dann schauten sie sich gegenseitig an. Irgendwie betreten. Dann lachten sie: »Hallo, guten Morgen.« In dem Moment, da ich das Papier sinken ließ, sah ich an mir herunter. Und das Wort »Hallo«, das ich mir eingeprägt hatte, blieb mir im Halse stecken: Ich war im Nachthemd. Esma, das tunesische Mädchen, stand morgens in der Backstubenküche, mitten unter fremden Leuten, und trug nichts anderes als ein geblümtes Nachthemd.
    Ich weiß nicht mehr, ob ich über mich gelacht habe. Wahrscheinlich bin ich zu Tode erschrocken und wollte nur noch weg. Auf jeden Fall legte ich meine beiden Arme reflexartig über die Brust, als ob ich auf diese Weise etwas verbergen könnte. Ich hatte einfach vergessen, mich anzuziehen. Aber da sprang die Bäckersfrau schon auf und sagte etwas, das ich nicht verstand. Sie legte mir ihre Hand auf die Schulter: »Warte!« Also blieb ich stehen. Ändern konnte ich jetzt sowieso nichts mehr. Es war mir peinlich, aber es dauerte nur wenige Sekunden, bis die Bäckersfrau wieder zurückkam und mir lächelnd einen kleinen Brocken Hefe in die Hand drückte. Ich drehte mich um, sie sagte noch etwas, vielleicht »Herzlich willkommen«, aber da war ich schon weg.
    Ein paar Tage später, mein Mann war gerade nach Hause gekommen, klingelte es an der Wohnungstür. Zum ersten Mal, seit ich in Deutschland war. Ich stand in der Küche und briet Fleisch und Zwiebeln. Ich schrak zusammen und wischte mir mit der Hand über die Stirn, der scharfe Geruch trieb mir die Tränen in die Augen. Ich kochte, wie ich immer für ihn kochte, obwohl mir Kochen verhasst ist. Putzen, aufräumen, waschen, nur nicht kochen, nein das kann und will ich nicht. Meine Mutter hat es mir nie gezeigt. Ich glaube nicht, dass sie selbst jemals gekocht hat, oft kochte die Großmutter oder eine Haushälterin, die manchmal zu uns kam.
    Ich aß auch nicht gerne, meistens nur eine Kleinigkeit, schon bevor Abdullah nachmittags von der Arbeit kam. Wenn ich ihm dann sein Essen bereitete und im Wohnzimmer vor ihn stellte, rauchte er noch seine Zigarette zu Ende. Pingelig drückte er sie im Aschenbecher aus, bevor er das Essen probierte. Oft blieb ich an der Wohnzimmertür stehen und wartete auf seine Reaktion. Was würde passieren? Würde er den Teller wieder gegen die Wand werfen oder ihn mit seinem Handrücken auf den Boden fegen? Einfach so, ohne Vorwarnung, wie es alle paar Tage vorkam?
    »Ungenießbar, was für ein verdorbener Fraß!«, brüllte er nur. Ich stand betroffen da und rieb mich mit meinem Daumen am Ohr, was ich oft tue, wenn ich mich ertappt fühle. Bei was eigentlich? Ich habe nur mein Bestes gegeben. »Putz das weg!«, schrie er, und ich war eine halbe Stunde lang damit beschäftigt, alles wieder aufzuwaschen. Abdullah aß dann nichts mehr, sondern brühte einen Mokka auf und steckte sich eine neue Zigarette an, die er zuvor ein paar Mal auf den Tisch geklopft hatte. Kaffee und Zigaretten reichten ihm, davon lebte er. Das war ihm alles näher als ich.
    Manchmal stand er auch auf, packte den vollen Teller, trug ihn in die Küche und warf ihn komplett in die Mülltonne. Ohne ein Wort. »Ist doch schade um den schönen Teller«, traute ich mich einmal zu sagen. »Kann dir egal sein«, schrie er mich an. »Kaufst du einen neuen?«, fragte ich trotzig zurück, es muss mich der Teufel geritten haben. Das ging Abdullah zu weit, er schäumte vor Wut, packte mich mit einer Hand am Arm und schlug mir mit der anderen ins Gesicht, bevor ich meinen Kopf wegziehen konnte. Eine einzige Ohrfeige warf mich zu Boden. Ich zog die Knie ans Kinn und rührte mich nicht mehr von der Stelle. Doch anstatt aufzuhören, schlug und trat er weiter. Viel später versuchte ich aufzustehen, langsam und wimmernd, zog mich am Sessel hoch. Schleppte mich ins leere Kinderzimmer, wo die Vorhänge und Fenster geschlossen waren und die abgestandene Luft nach welken Blättern roch. Dort lag immer eine Decke, die breitete ich über mir aus und spann mich ein wie in einen Kokon, meine geballten Fäuste gegen das Kinn gepresst. So lag ich auf dem Teppichboden. Während Abdullah es sich auf dem Sofa vor dem Fernseher gemütlich machte.
    Er fasste mich dann eine Weile nicht mehr an. Tagelang tat ich nur noch das Nötigste und

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