Loewenmutter
führte Selbstgespräche.
Selbstmitleidig oder anklagend. »Wieso hat dich dein Mann nicht lieb? Warum will er dich nicht kennenlernen?«, fragte ich mein Spiegelbild. »Du hast nichts anderes verdient. Warum warst du denn so hochnäsig und hieltest dich für etwas Besseres?«, flüsterte es böse. »Selbst schuld. Wolltest ja unbedingt einen reichen Mann heiraten.« Blöder Spiegel! Weiß auch nicht mehr als ich selbst. Aber wenigstens vermittelte er mir das Gefühl, am Leben zu sein. Ich holte mir Trauben aus der Küche, kam zurück, aß sie und spuckte die Kerne im hohen Bogen aus: Mal sehen, ob sie in diesem finsteren Loch Wurzeln schlagen.
»Das ist nun die Strafe für deinen Hochmut. Immer hast du gedacht, du verdienst was Besseres. Das hast du nun davon. Einen Mann, der dich nicht beachtet«, zischte es aus dem Schrank. Dafür hasste ich mich, ich machte mir bittere Vorwürfe: Warum hatte ich mich bloß über alle anderen Männer lustig gemacht, die gekommen waren und um meine Hand angehalten hatten? Mit allen anderen wäre es besser geworden als mit Abdullah, dem Deutschen. Hätte ich einen von den anderen geheiratet, wäre ich wenigstens in Tunesien geblieben und hätte meine Familie um mich gehabt. Wer weiß …
Viele Mädchen in der Nachbarschaft hatten mich um den Mann aus Deutschland beneidet. »Was hast du für ein Glück«, sagten sie, »du kommst raus, wirst viel erleben, viel sehen.« Aber nun sehe ich weder etwas von Deutschland noch von meinem Mann. Wenn die wüssten, wie einsam man sein kann. Ich wünsche es keiner von ihnen. Unendlich einsam!
Die Tage gingen dahin, einer nach dem anderen, immer im gleichen Rhythmus, wie der Scheibenwischer am Auto. Mein Mann war auf Frühschicht, eine Woche später auf Spätschicht, und ich war allein. Die Fenster waren geschlossen. Ich hatte kein Geld und keinen Wohnungsschlüssel, den nahm mein Mann mit. Er schärfte mir ein, nicht aus dem Haus zu gehen, abgesehen davon hätte ich mich auch gar nicht getraut. Nachdem ich Abdullah morgens um halb fünf das Frühstück gerichtet und ein Mittagessen eingepackt hatte, legte ich mich meistens wieder ins Bett und schlief. Oder versuchte zu schlafen. Dann stand ich wieder auf, wusch ein Kleidungsstück oder zwei von Hand, eine Waschmaschine hatten wir nicht, räumte auf, aß ein wenig. Eigentlich hatte ich nichts zu tun. Manchmal schaltete ich den Fernseher an, nur zur Ablenkung und um Stimmen um mich zu haben. Alles im Nachthemd oder Bademantel, angezogen habe ich mich eigentlich nur, um mich gleich wieder umzuziehen. Fast täglich probierte ich meine neuen Kleider. Den Schrank hoch und runter, von links nach rechts und wieder zurück, Kleider, Hosen, Röcke, in allen Kombinationen. Was hätte ich auch sonst machen sollen?
Zwischendurch stellte ich mich vor den Spiegel, tanzte hin und her, betrachtete mich, sprach mit mir selbst und holte meine Schminksachen, die ich auf dem Nachttisch abgelegt hatte. Ohne zu blinzeln, umrahmte ich meine Augen mit schwarzem Kajal und schminkte die Lippen mit knallrotem Lippenstift. Rouge auf die Wangen, auf dem Kopf band ich Tücher zum Turban. Oft mehrere übereinander, rot, blau, weiß – wie es meine Großmutter getan hatte. Nie war die alte Frau ohne fünf Tücher aus dem Haus gegangen, jetzt war sie lange tot. Ich würde es ihr nachmachen, wenn ich je aus dem Haus kam, nahm ich mir vor.
Meistens zupfte ich ein paar Strähnen meines krausen, dunklen Haares unter den Tüchern hervor: War ich nicht hübsch? Meine bernsteinfarbene Haut – ohne Makel. Nicht wie meine Mutter, deren Gesicht und Arme über und über mit dunkelgrünen Tätowierungen bedeckt waren. Sie sollen magische Kräfte besitzen. Die erste Tätowierung, die Ayasha in Kreuzform auf Wangen und Stirn, schützt das Leben. Die Fula, das Dreieck auf dem Kinn, sichert Glück und Wohlstand. Es muss höllisch wehgetan haben. Mit Nadeln hatte man der Mutter als Kind die Tatoos gestochen. Sie sprach nicht gern darüber, und wenn, dann weinte sie. Bis heute will sie ihre Male weghaben.
In der Küche wusch ich meine Schminke am Spülbecken wieder ab, ich zog mich aus bis auf die Unterwäsche, nur den Turban ließ ich auf dem Kopf. So stellte ich mich dann auf die Couch im Wohnzimmer. Wippte auf und ab. Vor zugezogenen Vorhängen. Ich mochte die Vorhänge nicht, sie machten das Zimmer so dunkel, trotzdem nahm ich sie nicht ab. Offensichtlich brauchen die Fenster der deutschen Häuser ihre Vorhänge. Wie den Schleier, den
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