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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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schwieg. Mit Make-up versuchte ich meine blauen Flecken zu überschminken. Doch sobald die Flecken auf meinen Armen und am Rücken gelb wurden, fand mein Mann wieder einen Grund zuzuschlagen. Das Gemüse versalzen oder zu fade, zu warm oder zu kalt, das Hemd nicht richtig gebügelt oder Krümel auf dem Küchenfußboden, seine schmutzige Kaffeetasse nicht weggeräumt. Bald merkte ich, dass er gar keinen Grund brauchte, um mich zu schlagen. Egal, ob ich etwas richtig oder falsch machte, ob ich ihm widersprach oder still war, er schlug zu. Weil er schlagen wollte. Ich konnte machen, was ich wollte, er schlug zu. Ein Mann, der seine Frau schlägt, braucht keinen Grund. Trotzdem sagte er: »Weil du es verdient hast.« Und ich hatte ein schlechtes Gewissen. War ich wirklich eine so schlechte Ehefrau? Dass er mich so demütigen und prügeln musste? Ich schämte mich dafür. Mich jemandem anvertrauen konnte ich nicht. Wem auch?
    Als es an diesem Tag klingelte, schob mein Mann den Teller weg, den ich ihm gerade gebracht hatte, und ging zur Tür, um zu öffnen. Ich durfte ja nicht. Unsere Vermieterin, die nette Bäckersfrau, stand im Treppenhaus. Auf ihren Händen balancierte sie ein riesiges Papptablett mit unterschiedlichsten Kuchen und Süßigkeiten. Ich war sprachlos hinter meinen Mann getreten, er bat sie herein. Mit einer Freundlichkeit, die ich nicht an ihm kannte. Wie kann er nur so charmant sein? Zu mir ist er unberechenbar und zornig und zu anderen der zuvorkommendste Mensch, den man sich vorstellen kann. Ich verstehe das nicht. Innerhalb von einer Sekunde knipst er den einen Abdullah aus und den anderen an, so wie man einen Lichtschalter drückt.
    Er begrüßte die Bäckersfrau mit einer leichten Verbeugung. Bitte, sie solle sich setzen, bot er ihr an, und ob sie Tee haben möchte? Sie war jedoch in Eile und wollte nur Hallo sagen. Mein Mann nahm ihr das Tablett ab, sprach ein paar Worte mit ihr. Ich stand daneben und verstand nichts. Doch sie sah immer wieder zu mir herüber, und einmal berührte sie mich sogar am Arm. Ich vermute, dass sie gekommen ist, um mich zu begrüßen. Nur nicht setzen, denke ich, mein Mann soll stolz auf mich sein. Wahrscheinlich erzählte er ihr, dass er mich kürzlich erst aus Tunesien mitgebracht habe. Ich will ihn nicht blamieren, und vor allem will ich nicht, dass die Bäckersfrau ihm von meinem Ausflug im Nachthemd erzählt. Sie lacht mich offen an. Ich lächele zurück, nein, ich glaube nicht, dass sie Abdullah verraten würde, wie dämlich ich mich ein paar Tage vorher benommen habe und in welchem Aufzug ich Hefe bei ihr geholt habe. Sie weiß, wie peinlich mir das Ganze ist. Sie würde mir helfen, auch wenn wir uns fremd sind. Die Nachthemd-Geschichte ist unser Geheimnis, sie erzählt meinem Mann sicher nichts davon.
    Sie war die erste deutsche Frau, mit der ich mich unterhielt, obwohl ich überhaupt nichts sagte. Aufgeregt war ich, lächelte, nickte, probierte von ihrem Kuchen. Und »Danke«, sagte ich, weil ich das von meinem Mann gehört hatte, »Danke schön«. Ich wollte, dass wir uns gut verstehen. Als sie in der Türe stand und noch ein wenig auf Abdullah einredete, vielleicht um ihm zu sagen, dass er mich gut behandeln solle – aber womöglich hoffte ich das auch nur –, sagte ich schüchtern: »Auf Wiedersehen.« Ohne zu wissen, was es bedeutete. Aber diese beiden Worte hatte ich schon in Tunis in der Grundschule gelernt. »Tschüss, Esma«, antwortete sie. Mein Mann sagte mir, dass sie Sabine heiße.
    Kaum war die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen, setzte Abdullah wieder sein gleichgültiges Gesicht auf, das ich so gut an ihm kannte. Er schenkte sich Kaffee ein und legte sich auf die Couch vor den Fernseher, rauchte eine Zigarette, dann schlief er ein. Ohne mein Essen angerührt zu haben. Ich stellte ihm Aschenbecher und Kuchen dazu und setzte mich auf die andere Seite des Sofas. Wie jeden Nachmittag. Zu diesem Mann gab es keinen Kontakt. Gleich in der ersten Nacht hatte er eine Mauer zwischen uns aufgebaut. Die konnte ich nicht überwinden.
    Ich legte meine Hände in den Schoß und betrachtete ihn: Er war der Mächtige, ich die Ohnmächtige, er der Herr und ich der Knecht. In einer solchen Konstellation geht es schnell, dass man sich unwert fühlt und sich nichts mehr zutraut. Er hat mich benutzt, mir den Mund gestopft, und ich bekam ihn lange nicht mehr auf. Jeden Tag dachte ich: Morgen, morgen wird es anders, ganz bestimmt wird morgen alles anders. Vielleicht

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