Loewenmutter
Handgelenk: »Gehen wir?« Als er an mir vorbei in Richtung Tür ging, streifte er mich am Arm, sonst nichts. Vor dem Labor sahen wir eine ausländisch aussehende Frau hilflos mit ihrem übervollen Becher Urin stehen. Die Männer lachten, es war die Frau eines Kollegen, der unten im Auto auf sie wartete. Ich fand das überhaupt nicht witzig.
Ich war schwanger. Abdullah muss es sofort seinem Freund und dessen Frau erzählt haben. Aber warum mir nicht? Nichts? Gleich im Beisein der Ärztin hätte er mit mir darüber sprechen müssen. Dann hätte ich darauf reagieren können: Fragen stellen, was weiß ich. Es war doch mein Bauch, in dem das Kind wuchs. Doch Abdullah tat, als ob mich das Ganze nichts anginge. Er war der Vater des Kindes, mein Körper gehörte ihm! Aber bin ich nicht die Mutter? Und habe ich nicht als Erste ein Anrecht darauf, zu erfahren, was los ist?
Abdullah hetzte zum Parkplatz vor der Praxis, schloss das Auto auf, auch die Beifahrertür für seinen Freund und die Türen hinten für uns Frauen. Wie üblich startete er mit quietschenden Reifen durch, zwei Minuten später bremste er schon wieder ab und hielt an einer Tankstelle: Zigaretten holen. Mit einem Grinsen im Gesicht kam er zurück. Er hatte eine Packung Gummibärchen mitgebracht, die er verteilte. Sogar wir Frauen bekamen etwas ab. Das war seine einzige Reaktion auf die freudige Nachricht meiner Schwangerschaft.
In den folgenden Wochen sprach Abdullah nicht mehr mit mir als sonst. Aber er sorgte dafür, dass ich genug und regelmäßig zu essen und zu trinken hatte. Wie er sein Auto mit Benzin betankte und samstags auf Hochglanz polierte, so kümmerte er sich auch um mich. Nie war ich hungrig, aber dauernd wollte er mich mit Oliven und Trauben stopfen. Wahrscheinlich sorgte er sogar dafür, dass ich genug Eisen und Magnesium zu mir nahm. Auf jeden Fall löste er immer wieder Tabletten in Wasser auf. Grässliches Gesöff. Aber er hatte ja recht, ich selbst war ahnungslos. Am liebsten trank ich in dieser Zeit Cola – vielleicht sogar aus Trotz.
Dass ich irgendwann einmal schwanger werden würde, hatte ich erwartet. Ob gewollt, unter diesen Umständen und mit diesem Mann – ich weiß es nicht. Auf jeden Fall war meine Freude darüber zwiegespalten. Einerseits freute ich mich wie verrückt auf das Kind, Aziim, mein Liebling, nannte ich es heimlich, andererseits hatte ich Angst vor dem, was auf mich zukommen würde. Woher sollte ich wissen, ob es gut werden würde mit Kind oder nicht? – Doch! Endlich nicht mehr allein sein! Sondern mit jemandem, den ich lieben kann, für den ich Verantwortung übernehmen darf und mit dem ich mich beschäftigen muss. Darauf freute ich mich. Und weil ich erst als Mutter eine vollwertige Frau sein würde. Aber kann ich das überhaupt – Mutter sein?
Die nächsten Monate verbrachte ich wieder zu Hause hinter den weißen Gardinen oder im leeren Kinderzimmer auf dem Teppich. Ab und zu holte ich mir Brötchen aus der Bäckerei. Abdullah legte mir dafür ein wenig Kleingeld auf die Ablage des Wohnzimmerschranks. Aber die meiste Zeit schlief ich. Bis die Ärztin meinem Mann sagte, ich müsse mehr essen und raus und laufen. »Was soll ich machen, wenn sie nichts isst. Ich kann sie nicht zwingen zu essen«, hatte mein Mann ihr widersprochen. »Unternehmen Sie etwas zusammen, was ihrer Frau Freude macht.« – »Wie meinen Sie das?« – »Gehen Sie mit ihr ins Kino.« – »Sie versteht doch kein Deutsch.« Dass ich trotzdem Lust gehabt hätte, etwas anderes zu sehen als meine vier Wände, kam ihm nicht in den Sinn. Alleine durfte ich nicht raus, das geziemt sich nicht für eine Frau, für eine schwangere schon gar nicht. Ein- oder zweimal ist mein Mann mit mir dann die Straße auf und ab gegangen.
Dass es Winter wurde, habe ich kaum mitbekommen. An den ersten Schnee in Hamburg kann ich mich erst erinnern, als die Kinder da waren. Aber der Krokus auf den schmalen Rabatten vor den Häusern meiner Straße, ich kannte diese lila und gelben Blümchen nicht, fiel mir im Frühjahr auf, als ich aus dem Fenster schaute, und später die Tulpen, die ich einmal in einem Katalog gesehen hatte.
Einmal, vormittags, als ich runtergehen wollte, um Brötchen und Cola zu kaufen, schnappte ich den Briefkastenschlüssel vom Haken im Flur. Abdullah hatte ihn nicht wie sonst immer mitgenommen. Ich hatte es gleich bemerkt, nachdem er morgens aus dem Haus war. Jetzt wiegte ich den Schlüssel in der Hand und umschloss ihn mit meinen
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