Loewenmutter
Länge nach, hängte es darüber und streifte mir das weiße Hemd über. Dann löste ich das Gummiband, das meine Haare zusammengehalten hatte, warf sie nach hinten, sodass sie sich mir wie ein Kranz um die Schultern legten. Mit der blauen Handtasche in der einen und den Schuhen in der anderen Hand trat ich aus der Kabine.
Im Kreißsaal war es hell, Sonnenstrahlen drangen durch die schräg gestellten Jalousien und warfen ein Streifenmuster auf den Boden. Ein schöner Tag, um ein Kind zu gebären. Wie einen Thron hatte die Hebamme das hohe Bett in der Mitte des Raumes für mich vorbereitet. Ich setzte mich und ordnete meine wenigen Sachen am Kopfende. Alles still, wir waren alleine. Nur wir beide und das Kind. Vielleicht war es sogar gut so, dass mein Mann nicht hier war.
Ich schlug die leichte Bettdecke zurück und lehnte mich an das hochgestellte Kopfteil. »Ruhig durchatmen«, sagte die Hebamme. Ich begriff, ohne dass ich es verstand. Sie legte mir verschiedene Gurte um den Bauch und schloss mich an Apparate an. Plötzlich vernahm ich den dumpfen, regelmäßigen Herzschlag meines Kindes.
Es dauerte nicht lange, bis ein Arzt kam. Zum ersten Mal ein Mann, der mich untersuchen wollte und mit mir sprach. Ein großer mit weißen Haaren, älter, sympathisch. Ich schämte mich, der soll mich jetzt anfassen? Wahrscheinlich fragte er mich nach Abdullah, aber ich hörte nicht hin. Ich könnte versuchen, mich mit ein paar Worten Französisch verständlich zu machen. Aber dazu bin ich zu aufgeregt. Er hat ja den Brief gelesen und weiß alles.
Ich starre auf seine Hände, als er sich mir nähert. Große Hände. Ich verfolge seine Bewegungen, wie er seine linke Hand mit einem glänzenden Ehering auf mein rechtes Knie legt. Allah, muss das sein? Ich zittere und kann doch nichts anderes tun, als alles über mich ergehen zu lassen. Inschallah! Aber ich will sagen, dass ich Angst habe. Abdullah muss mir helfen. Wo bleibt er nur? Er kommt nicht, wahrscheinlich nicht einmal aus böser Absicht, sondern weil es in Tunesien üblich ist, dass Frauen alleine gebären.
Der Arzt diskutiert mit der Hebamme. Immer wieder sehen sie zu mir herüber. Es geht um mich, aber was ist? Es ist ein schreckliches Gefühl, ihnen ausgeliefert zu sein. Dann kommt die Hebamme, sie zeigt mir einen Gurt, den sie mir um den Arm legen will. Sie arbeitet schnell, bindet mir den Arm ab, ich zittere und denke an den heißen Wind in meiner Heimat, der mir als Kind den Sand in die Augen getrieben hat, bis sie tränten. Mit einer Nadel sucht die Hebamme die Vene und legt mir eine Infusion an. Ein Wehenmittel vermutlich, um die Geburt einzuleiten. Ich bin außer mir vor Angst und strecke ihr meine Hände entgegen. »Hier nimm!«, sagt sie, und ich kralle meine Finger in ihren Arm. Mit zusammengekniffenen Augen verfolge ich die Kurve mit den Herztönen meines Kindes auf dem Monitor. Plötzlich krampft sich mein Bauch zusammen, wellenartig, die Herztöne werden hektischer. Immer wieder, alle drei Minuten, alle zwei. Mit einem feuchten Waschlappen wischt mir die Hebamme den Schweiß von der Stirn.
Ich weiß nicht, ob es Stunden oder Minuten waren, aber wenn ich an die Geburt denke, spüre ich bis heute die unerträglichen Schmerzen, die ich damals litt. Ich weinte nicht, ich schrie auch nicht, aber ich biss mir mit den Zähnen blutige Löcher in die Innenseiten meiner Backen. Schließlich legte mir die Hebamme eine Sauerstoffmaske über Nase und Mund, und ich bekam nicht mehr viel mit: Einatmen, ausatmen, einatmen, pressen. Ich schrie, erst später erfuhr ich, dass sie das Kind mit der Zange geholt haben. Amin war da.
Ein blutverschmiertes Bündel mit schwarzem Haarwuschel lag auf meinem Bauch. In ein weißes Handtuch gewickelt. Wie hübsch er war mit seinen großen, dunklen Augen, die zu mir hochschauten. Ich fühlte, wie eine Welle der Erlösung mich durchströmte: Ein gesunder Junge, seine Augen waren ihm sofort wieder zugefallen, er schlief. Ich war froh, so froh.
So froh wie zu Hause, wenn ich nach der Geburt meiner jüngeren Geschwister meine Mutter wiedersah. Jedes Jahr ein neues Kind. Manche starben gleich nach der Geburt, manche später. Mir waren die Babys nicht wichtig, aber ich sehnte mich nach meiner Mutter, die im Krankenhaus lag. Mein Vater hatte mich einmal zu ihr mitgenommen. Da versteckte ich mich hinter ihrem Bett, ich wollte nicht ohne sie nach Hause gehen. Ich sei krank, sagte ich, wolle bei ihr bleiben und sie für mich haben. »Lass sie«,
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